Eduard Engel

Urpremieren på Bygmester Solness ved Lessing-Theater i Berlin anmeldt av Eduard Engel i Hamburger Fremden-Blatt 20. januar 1893 (Nr. 17, 65. Jahrgang).

Feuilleton.

Berliner Theater.
(Eigenbericht.)
Berlin, 19. Januar.
Lessing-Theater: Erste Aufführung von «Baumeister Solneß», Schauspiel in 3 Acten von Henrik Ibsen. In der deutschen vom Verfasser allein autorisirten Uebersetzung seines Sohnes Sigurd Ibsen.

Das «Theater der Lebenden», das sich mit dem immer noch genügenden Erfolge von Sudermanns «Heimat» allabendlich beinahe volle Häuser schaffen könnte, hat es dennoch für angemessener befunden, seinen Spielplan aus der Einförmigkeit der bloßen Wiederholung durch die Einfügung einer zugkräftigen Neuheit herauszuheben und aufzufrischen. Auch wohl äußerliche Erwägungen mögen hierbei mitbestimmend gewirkt haben. Der Director wollte seine Schauspieler schonen und ihnen nicht zumuthen, was die Possentheater thun, fünfzig oder gar hundert Abende hintereinander dieselbe Rolle «bis zur Bewußtlosigkeit» herunterzuspielen. Auch mußte ihm natürlich daran liegen, der Erste auf dem Plan zu sein, da zwischen Deutschland und Norwegen kein schützender Literaturvertrag besteht, mithin jeder beliebige Theaterdirector durch jeden beliebigen Dilettanten jedes neue Stück Ibsens übersetzen lassen und zur Aufführung bringen kann.

Die Ibsenianer von der strengen Regel werden selbstverständlich auch über den «Baumeister Solneß» in die lärmende Verzückung ausbrechen, die wir bei ihnen nachgerade bis zum Ueberdruß kennen gelernt haben. Gleichviel, ob ein Stück Ibsens auf der Bühne oder beim Lesen packt oder nicht, ob es verzwickt, zerfahren, unverständlich ist oder nicht jene Gattung von Ibsenianer kriegt es fertig, nicht nur sich stets packen zu lassen, sich auch da spannen zu lassen, wo andere Menschen in den Augen der Ibsenianer um jeden Preis natürlich lauter Dummköpfe sich einfach langweilen: nein, sie behaupten auch, ihn immer zu verstehen und finden die tiefste Weisheit selbst da, wo andere Leute beim besten Willen nichts Anderes finden, als die Sucht mit mystischer Grübelei so zu thun, als sei man überirdischer Geheimnisse kundig.

Zu den «anderen Leuten» gehört auch der Schreiber dieser Zeilen. Er glaubt, daß man wie immer das sittliche Urtheil über die That der Heldin lauten mag in Ibsens «Nora» eines der bühnenwirksamsten, aber auch eines der tiefsten Schauspiele der neueren Literatur zu achten hat. Auch über die Bedeutung von «Volksfeind», «Stützen der Gesellschaft», «Gespenster», ja selbst «Rosmersholm» dürfte es schwerlich zwei einander aufhebende Urtheile geben. Die Bedenken gegen Ibsens Art, oder vielmehr hier muß ein Fremdwort helfen gegen seine Manier begannen schon bei der «Wildente», sie wuchsen bei der «Frau vom Meere», sie erhoben sich mindestens in gleicher Stärke gegen «Hedda Gabler», und sie kommen jetzt bei dem «Baumeister Solneß» zum Abschluß. Ibsen ist in seiner dichterischen Entwickelung an einer Stelle angelangt, wo der gewöhnliche Sterbliche nicht mehr mitkann. Die Schuld mag an dem gewöhnlichen Sterblichen liegen; aber was kann dieser Aermste eigentlich dafür, daß er nur an drei und nicht an vier Dimensionen zu glauben erzogen worden? daß er, der noch nie eine erwiesene Fernwirkung des menschlichen Willens beobachtet hat, an solchen mystischen Hocuspocus ebenso wenig glauben kann, wie an die Wirkung des Willens Josuas auf den Sonnenlauf, oder des Trompetengeschmetters der Juden auf die Mauern Jerichos? Und wer einmal von der stiefmütterlichen Natur so karg bedacht ist, daß er ohne die kleinste Spur einer vierten Dimension durchs Jammerthal der Erde ziehen muß und weder für Spiritismus noch für «Telepathie» (so heißt das Wunder von Jericho auf «wissenschaftlich») das winzigste Orgänchen besitzt, der ja der ist bei diesem neuesten Stück von Ibsen dazu verdammt, sich von denen, die Ibsens mystisches, nicht vorhandenes Gras wachsen hören oder so thun, «auf den Bauch trampeln zu lassen», um mit Andersens Märchen von «Des Kaisers neuen Kleidern» zu sprechen, in dem auch Alle, die etwas, was nicht da war, nicht sehen konnten, mit jener unangenehmen Strafe des Bauchtrampelns bedroht werden.

Aber lieber noch auf den Bauch getrampelt werden, oder sich von allen Gnadenwirkungen des «vollen und ganzen» Ibsenismus für ewig ausgeschlossen sehen, als den «Baumeister Solneß» für etwas Anderes zu erklären, als das langweiligste, verschnörkeltste, manierirteste aller Ibsenschen Stücke. Es mag eine Zeit kommen, da gerade der «Baumeister Solneß» das allgemeine Entzücken sein wird; aber sie wird nicht eher kommen, als bis alle Welt spiritistisch und Telepathie-gläubig geworden ist. Solches aber wird um dieselbe Zeit sein, da das Märchen vom «Knüppel aus dem Sack» oder ähnliche Telepathie-Märchen keine Märchen mehr sein werden, also auch z. B. der reizende, Ducaten von sich gebende Esel «Bricklebritt» im Stalle eines jeden Finanzministers stehen wird. Es ist im Leben häßlich eingerichtet, daß wir Alle viel zu früh auf die Welt gekommen sind, um dessen theilhaftig zu werden.

Hieran freilich trägt Meister Ibsen keine Schuld. Sein Drama ist eben für die spiritistisch-telepathische Nachwelt geschrieben. Geben wir uns rechte Mühe, so lange im Lichte zu wandeln, bis wir selbst noch jene Nachwelt bilden helfen, dann kann auch uns noch die leider jetzt so dunkle Weisheit im «Baumeister Solneß» hell werden.

Mit diesem Baumeister hat es folgende Bewandtniß: Er leidet an der Krankheit einer mystischen Willenskraft, durch die er Menschen und Dinge zum Gehorsam zwingt. Keiner leugnet, daß der Wille des einen Menschen und die daraus entspringenden Handlungen den Willen des anderen Menschen und somit dessen Handlungen beeinflussen. Das ist eine so selbstverständliche Wahrheit, daß kein Wort darüber zu verlieren ist. Mit solcher Selbstverständlichkeit hat Ibsen natürlich nichts anfangen können. Sein Baumeister Solneß kann aber mehr als alle anderen Menschen. Lassen wir es ihn selbst sagen, was er kann:

«Solneß: Glauben Sie nicht auch, Hilde, daß es einzelne auserkorene, auserwählte Menschen gibt, denen die Gnade verliehen wurde und die Macht und die Fähigkeit, Etwas zu wünschen, Etwas zu begehren, Etwas zu wollen, so beharrlich und so unerbittlich, daß sie es zuletzt bekommen müssen? Glauben Sie Das nicht?

Hilde, die der Baumeister vor zehn Jahren als Kind einmal gesehen hatte und die seitdem angeblich unter seinem Willensbanne gelebt hat, glaubt Das; wir glauben es leider nicht Das ist der ganze Unterschied.

Wenn nun solch ein «begnadeter» Mensch Etwas recht stark will, dann geht die Sache ungefähr so vor sich: der starke Wille ist ein Unhold, der im Menschen steckt, und dieser Unhold Solneß sagt es ganz ernsthaft, und aus ihm spricht in diesem Falle der Dichter selbst «dieser Unhold in Einem, sehen Sie, der ist es, der die Mächte herbeiruft. Und dann muß man nachgeben, man mag wollen oder nicht.» «Es gibt in der Welt so erstaunlich viele Teufelchen, die Einer nicht sieht, Hilde, gutmüthige und bösartige Teufelchen.»

Mit Hülfe solcher Teufelchen wers nicht glaubt, zahlt drei Kronen norwegisch hat Baumeister Solneß vor Jahren sein Haus in Brand gesetzt, um das werthvolle Grundstück nachher zu Villen ausschlachten zu können. Er hat das Feuer nur herbeigewünscht und das Feuer kam. Dann hat er, zehn Jahre vor dem Anfang des Stückes, bei einer Kirchthurmsweihe ein kleines Mädel, Hilde Wangel, bezaubert «betöwert» sagt der norddeutsche Volksmund , und siehe da, über Raum und Zeit hinweg muß jenes, inzwischen groß und gefährlich gewordene Mädchen ihrem Willens-Hexenmeister folgen. Plötzlich ist sie da, und da er nur in den Tiefen seiner Seele wünscht, sie möchte dableiben, um in sein graues Leben an der Seite einer vergrämten, verschüchterten, sich überflüssig fühlenden Frau einen Sonnenstrahl zu bringen, da er dies nur wünscht, nicht etwa irgendwie ausdrückt, so bleibt sie da, so wie früher viele Andere als «Buchhalterinnen» dageblieben sind, nur weil er es heimlich wünschte. Sie Alle glaubten dann, Worte von ihm gehört zu haben. So ist es vor Hilde der armen kleinen Buchhalterin Caja beim Baumeister ergangen.

«Ich stand nur da,» erzählt Solneß «und sah sie an und wünschte so recht beharrlich, ich hätte sie hier. Den nächsten Tag kam sie wieder her zu mir und benahm sich, als hätte ich mit ihr eine Abrede getroffen über Das, was ich mir nur so gewünscht hatte, wovon mir aber kein einziges Wort entschlüpft war.»

Die Handlung des Stückes ist nicht der Rede werth. Hilde ist plötzlich im Hause des Baumeisters, ungefähr so plötzlich und so gespenstisch, wie in der «Frau vom Meere» der Mann vom Meere auftaucht und wieder ins Nichts entgleitet. Sie hat mit höchstem Entzücken vor 10 Jahren «ihren» Baumeister gesehen wie er den Kranz auf die Thurmspitze hing, und als er nachher dem zwölfjährigen Kinde im Scherz sagte, er werde in 10 Jahren wiederkehren und ihr, seiner Prinzessin, ein Königreich, Namens «Apfelsinia», und ein Schloß dazu schenken, da hat nicht nur die Zwölfjährige diesen Scherz für vollen Ernst genommen beiläufig auch schon ein starkes Stück , nein, auch die Zweiundzwanzigjährige, die da weiß, daß «ihr» Baumeister längst verheiratet ist, glaubt steif und fest an das Königreich oder so was Aehnliches und an das Schloß. Und plötzlich ist sie da und führt tiefsinnige Gespräche mit Solneß, so tiefsinnig, daß uns unser beschränkter, weil nur mit elenden drei Dimensionen sich begnügender Verstand im Stich läßt und uns von alledem so dumm wird, wie von einem gewissen classischen Mühlrad.

Besagte Hilde ist ein Mittelding zwischen einer Unholdin menschlicher Art und etwa einem Vampyr. Handelte es sich nicht um ein Drama mit realistischem Gethue, mit ganz modernen Menschen und Verhältnissen, sondern um eine phantastische Märchendichtung, um ein Drama im hohen Geisterstil des «Faust», des «Manfred», dann ließe sich selbst über ein Geschöpf der Dichterlaune wie Hilde reden. So aber wirkt sie stillos. Sie macht ganz den Eindruck wie gewisse Ausgeburten niederländischer Maler auf Bildern der «Versuchung des heiligen Antonius». Unwillkürlich erwartet man, solchen weiblichen Spuk, trotz seiner hexenartigen Lebendigkeit, plötzlich gleich einem todten Golem umsinken oder auch mit einigem Schwefelstank durchs Ofenrohr abfahren zu sehen. Wenn solch ein Golem uns durchaus einreden will, er sei ein vom Weibe geborener Mensch mit Blut, Nerven und Muskeln, dann werden wir ungeduldig, einen Spaß, auch einen spukenden, lassen wir uns eine Zeitlang gefallen, nur darf er uns nicht ernsthaft kommen.

Aber die Handlung! Die hätten wir beinahe vergessen, was zu entschuldigen ist, wenn man bedenkt, wie mikroskopisch sie ist. Hilde möchte durchaus ihren Baumeister noch einmal hoch oben auf einer Thurmspitze sehen, «mit einem Kranz in der Hand». Dieser «Kranz in der Hand» wird fortwährend da angebracht, wo Stimmung in uns gemacht werden soll, mit derselben geheimnißvollen, manierirten Andeutelei, die wir schon aus «Hedda Gabler» kennen, wo «Weinlaub im Haar» die Rolle des Stimmungmachers spielt. Diese geheimnißvoll sich geberdende Manier zeigt sich durchweg in Ibsens Dramen; in «Nora» wird halbmystisch von dem erwarteten «Wunderbaren» gesprochen, immerhin noch in menschlicher Sprechweise; im «Baumeister Solneß» foppt uns ein immer wiederkehrendes «Unmögliches», das Jemand leisten soll. Nur daß man nachgerade auch hinter diese Ibsenschen Mittelchen kommt, die oben aufliegende Absicht merkt und gründlich verstimmt wird.

Der Baumeister schützt Schwindligkeit vor, aber solche Hexen wie Hilde glauben an solchen Schwindel nicht. Solneß steigt auf den Thurm, stürzt hinunter, Hilde schreit «Mein, mein Baumeister!» was wahrscheinlich wieder abgrundtiefe Bedeutung haben soll, und das Stück ist aus.

Es ist wahrlich nicht meine Absicht mich auf Kosten eines so außerordentlichen Dichters wie Ibsen billig zu belustigen. Aber wenn ein großer Dichter, entweder einer tief in ihm verborgen gewesenen oder vielleicht erst durch die verderbliche Bewunderung von Ibsenomanen entstandenen Neigung zur Manier so weit nachgibt, daß seine Werke gar kein menschliches Interesse mehr erwecken, sondern nur noch wie eine Spielerei mit Schatten an der Wand oder wie eine spiritistische Sitzung mit ihrem unvermeidlichen Humbug auf uns wirken, dann ist der Spott noch die mildeste Waffe der Abwehr.

Uebrigens gehört auch keine übermäßig große Literaturkenntniß dazu, um solchen Werken wie dem «Baumeister Solneß» sogar jede Originalität abzustreiten. Ist ja Alles schon dagewesen, nur mit weniger Brimborium, mit mehr Naivetät. Grillparzers «Ahnfrau» ist ja die Ahnfrau dieser ganzen dramatischen Tändelei mit den Schicksalsmächten. Und lange vor Ibsen haben unsere einst ziemlich ebenso berühmt gewesenen Müllner, Houwald, Zacharias Werner und ihre Nachahmer ihren spiritistischen Humbug mit einem damals allerdings auch krankhaft erregten Publicum getrieben: es war ja die Zeit, in der man im Tischrücken nicht betrügerische Handgriffe, sondern das «Hereinragen der Geisterwelt» erblickte. Und wie jene nur noch in Literaturgeschichten ein papiernes Dasein fristenden Dichter, würde auch Ibsen sehr schnellem Vergessen preisgegeben sein, wenn er nicht Anderes und Besseres als solche Spukdramen, wie den «Baumeister Solneß», gedichtet hätte.

Bei der Aufführung gab es zwei Gruppen interessanter Mitwirkender: die Schauspieler und das Publicum. Jene haben offenbar in ihrem praktischen Sinn Wenig oder Nichts von dem Stück verstanden und haben doch die Verpflichtung gefühlt, etwas daraus zu machen. Viel ist es natürlich nicht geworden. Am meisten menschlich war Frl. Meyer als die gedrückte, vergrämte Frau des Baumeisters; aber Das war nicht all zu schwer, denn diese Frau ist von den drei Hauptpersonen die einzige ganz menschliche, sich eben auch mit den bescheidenen, bisher gebräuchlichen drei Dimensionen begnügende. Reicher als Baumeister that, was er konnte, und Reicher ist Einer, der sehr viel kann. Aber Eins konnte er nicht: einen einheitlichen Ton treffen; und daran hat Ibsen Schuld. Geradezu unerträglich war Frl. Reisenhofer als Hilde. Ihr fehlte im Ton wie im Spiel alles Dämonische, alles aus unerforschlichen Tiefen Quellende und nur in ihnen zu Findende. Sie geheimnißte nach Kräften, aber falsch, gekünstelt, übertrieben. Sie brachte es dahin, daß das Publicum an vielen Stellen wie in einer Posse lachte, obgleich es dem Dichter höllenhafter Ernst damit war.

Gar ergötzlich war das Publicum. Da waren also die Ibsenianer aus Princip und Ueberzeugung; diese verhielten sich ehrerbietig schweigend. Dann gab es Ibsenianer aus «Mode». Sie waren leicht zu erkennen an ihrem banausischen Klatschen, das laut, aber ohne Inbrunst war. In einer Millionenstadt gibt es natürlich auch von dieser Sorte der «Snobs» eine ganze Menge. Die Mehrzahl aber bestand aus ganz einfachen Menschen mit drei Dimensionen, und die haben sich tödtlich gelangweilt. Einige Dutzende von ihnen haben lebhaft gezischt, aber wenn ebensoviele Menschen laut klatschen, übertönt es bekanntlich das Zischen.

Das Stück wird sich nicht halten, nicht, weil es Widerspruch hervorruft, sondern weil es langweilt. Die Hauptfigur, Hilde, hat als Leitmotiv die Redensart: «Wie außerordentlich spannend!» Sie ist die Einzige im ganzen Theater, die dieses Urtheil fällt.

Publisert 27. mars 2018 23:18 - Sist endret 27. mars 2018 23:18