Julius Keller

Urpremieren på Bygmester Solness ved Lessing-Theater anmeldt av Julius Keller i Berliner Lokal-Anzeiger 21. januar 1893.

Kunst und Wissenschaft.

J. K.   Lessing-Theater.   Zum ersten Male: «Baumeister Solneß».   Schauspiel in drei Akten von Henrik Ibsen.   Deutsch von Sigurd Ibsen.

«Ich kam soeben aus einem Grabgewölbe herauf.» «Was soll das heißen?» «Daß es mich frostig angeweht hat, Baumeister.» Also lautet eine Stelle in der dritten Scene des letzten Aktes zwischen Solneß und Hilde.

Nich treffender könnte ich das Gefühl wiedergeben, das mich beim Verlassen des Lessing-Theaters nach der «Solneß-Première» beherrschte. Auch mir wars, als käme ich aus einem Grabgewölbe, und unendlich frostig hatte sie mich angeweht, diese trübselige, freudlose Komödie. Kein Fünkchen warmen Lebens, kein Hauch ergreifender Natürlichkeit war in diesem Grabgewölbe dichterischer Grübelei zu finden. Alles todt und kalt, ein Trümmerhaufen einstiger Genialität. Ich gehöre nicht zu den enragirten Verächtern Ibsens; ein gut Stück Weges bin ich seinen Verehrern gefolgt, oft zweifelnd und widersprechend, aber immer durchdrungen von der Größe und Bedeutung des Dichters. Der «Frau vom Meere» gegenüber blieb ich zurück, «Hedda Gabler» trieb mich schon weiter ins Lager der Gegner, und dieser «Baumeister Solneß» brachte mich völlig auf die Seite der Opposition. Ich bezwecke mit diesen Zeilen durchaus nicht den «tiefen Geheimnissen» des Dramas nachzuspüren oder meinen Lesern «Klarheit» über die vielen Räthsel seines Inhalts zu geben, o nein, auf diese Absicht habe ich schon nach der Lektüre des Stückes verzichtet. Ich vermag eben in «Baumeister Solneß» keine hervorragende Dichtung zu erblicken, deren Schönheiten man zu ergründen suchen müsse, wie etwa den zweiten Theil des Goetheschen «Faust» Pardon! Herr Ibsen, für den Vergleich ich halte dieses Schauspiel vielmehr einfach für die mißrathene Arbeit eines recht, recht alt gewordenen Poeten, dessen Schaffenskraft erlahmte und dessen «Eigenheiten» mit den Jahren zu krankhaften Verschrobenheiten ausarten, die viel zu kleinlich und schrullenhaft sind, als daß man sie einer ernsten Bekämpfung würdigen könnte. Man gehe in eine Anstalt für Geisteskranke und unterhalte sich dort mit einigen der Unglücklichen, deren jeder an irgend einer fixen Idee leidet dann wird man genau den Eindruck haben, den die Aufführung dieses neuen Schauspiels erzielt. Ich will garnicht von der Wahrscheinlichkeit der hier vorgeführten «fixen Ideen» reden. Du lieber Gott, was bilden sich die Geisteskranken nicht Alles ein! Es mag möglich sein, daß ein krankhaft veranlagter Mensch (Baumeister Solneß) sich einbildet, er habe durch seinen Wunsch den Brand eines Hauses verschuldet, daß in seinem krankhaften Gehirn der Wahn sich einnistet, ein festes, eigensinniges Wollen und Wünschen führe endlich das Gewollte wirklich herbei. Es mag möglich sein, daß dieser Narr, trotz des Bewußtseins der furchtbarsten Gefahr und seiner ungewöhnlichen Schwindligkeit auf einen hohen Kirchthurm klettert und von dort aus den Hut schwenkt nur weil eine andere Närrin es eigensinnig gewünscht. Es mag möglich sein, daß ein junges Mädchen (Hilde Wrangel) von dem Wahn beherrscht wird, einen Mann, der ihr einst durch seine Thurmkletterei imponirte, wieder einmal «dort oben» zu sehen, daß sie den Aermsten in wilder Begierde dazu antreibt, einen hohen Thurm zu besteigen, daß sie all dies «entsetzlich spannend» findet und, als der Kletterer endlich zerschmettert vom Thurm herabstürzt, ihren Shawl schwenkt und mit «wilder Innigkeit» schreit: «Mein mein Baumeister!» Aber stempeln denn diese Möglichkeiten die eben nur der Irrenarzt auf ihre Berechtigung prüfen kann den Mann und das Mädchen zum Helden und zur Heldin eines Bühnendramas? lch glaube kaum. Der Mann mit seinem kranken Gehirn gehört in eine Kaltwasserheilanstalt, und das hysterische Mädchen, für dessen Leiden ich die Bezeichnung «Thurmkoller» vorschlagen möchte, in die Obhut eines tüchtigen Arztes für weibliche Irre. Und so wie dieses Heldenpaar hat jede Person des Stückes ihre mehr oder weniger schwere fixe Idee leidend, das heißt krankhaft in ihrem Denken und Empfinden, sind sie Alle. Und fragt man mich nun nach der «Handlung» des Stückes? Ja, die habe ich soeben erzählt. Die Wahn-Vorstellungen des Herrn Solneß und der Thurmkoller des Fräulein Hilde bilden den Grundzug und Kern der Handlung, und die äußere scenische Gestaltung, welche der Dichter dieser Handlung gegeben, ist so gewaltsam, so verlogen und erkünstelt, daß sie einer förmlichen Ironie auf den Realismus gleich kommt.... Die «Fabel», in die Ibsen den Gedanken der Handlung gekleidet hat, erscheint so unwahr und gewaltsam wie möglich... Bei der Einweihungsfeier eines von ihm aufgeführten Baues hat die dreizehnjährige Hilde den Baumeister Solneß zum ersten Male gesehen... Hoch oben auf dem Thurm, den der mit dem Kranze schmückte... Und da hörte das dreizehnjährige Kind ihn singen d. h. nur in ihrer Phantasie und da schwenkte sie ihr Fähnlein und schrie so laut «Hoch», daß der Baumeister oben vor Schreck beinahe herunterstürzte... (Was muß diese dreizehnjährige Hilde für eine beneidenswerthe Kehle haben!) Und dann, nach dem großen Festessen, hat Baumeister Solneß die Dreizehnjährige geküßt, ihr versprochen, sie zur Prinzessin zu machen und ihr ein Königreich «Apfelsinia» zu schenken.... All das behauptet wenigstens Hilde, während Solneß nur zugiebt, es vielleicht gewünscht zu haben... Nun gleichviel, jedenfalls behauptet Hilde, daß sie die Küsse und das Versprechen erhalten und stellt sich plötzlich genau nach zehn Jahren, ohne den Baumeister inzwischen jemals wieder gesehen zu haben, und trotzdem sie weiß, daß er seit Langem verheirathet ist, in seinem Hause ein. Er erkennt sie natürlich zuerst nicht wieder, aber sie versteht ihn an Alles, auch an das, was er angeblich nur gewünscht hat, zu erinnern... Ohne Sack und Pack, sogar mit «schmutziger Wäsche» wie sie sehr offenherzig sagt ist sie gekommen und setzt sich mit größter Nonchalance im Hause fest... «Was wollen Sie hier?» so fragt er sie. «Mein Königreich!» antwortet sie... In diesem Verlangen, in dem bald gebieterisch, bald schmeichlerisch gestellten Wunsch, sie zur «Prinzessin» zu machen, ihr das versprochene «Königreich» zu schenken, gipfeln alle Gespräche zwischen den Beiden, bis denn endlich der bethörte, und von ihrem «energischeren» Willen bezwungene Baumeister verspricht, ihr ein Schloß und sogar eins mit Grundmauer zu bauen. Selbstverständlich sind alle diese im wahren Sinne des Wortes erbaulichen Redensarten «symbolisch» gemeint. Und was nun zwischen den beiden vorgeht, wozu die Handlung sich zuspitzt?... Nun, zu einem hohen Thurm, den der Baumeister besteigen soll. Der Thurmkoller, welcher das ganze Wesen Hildes beherrscht, kommt gar bald zum vollen Ausbruch. Sie will Solneß wieder «hoch oben» sehen, frei und groß auf der Thurmspitze «wie damals!» Anfangs will Solneßchen nicht recht, denn der gute Mann ist inzwischen sehr schwindlig geworden. Aber schließlich setzt Hilde ihren Willen doch durch.... Bei der Einweihungsfeier seines neuen, mit einem sehr hohen Thurme versehenen Hauses klettert der Baumeister wirklich auf die Spitze, um den Kranz aufzuhängen Hilde sieht natürlich «entsetzlich gespannt» zu und schreit, als er oben ist und den Hut schwenkt: «Es lebe der Baumeister Solneß!» Dabei hört sie wieder gewaltigen Gesang «Harfen hoch oben!» und im nächsten Augenblick liegt der Baumeister unten.... Todt ist er.... Wenige Sekunden nachdem Solneß gefallen, thut der Vorhang das Gleiche und die Geschichte ist aus.... Das sind die Vorgänge oder besser die Vorfälle des Stückes. Was ich bei der Erzählung überging, ist eine völlig bedeutungslose, uninteressante Nebenhandlung, die ebenfalls nicht zu der kleinsten, wirklich dramatischen Scene führt. Und nun denke man sich das Ganze eingehüllt in einen Mantel mystischen Dunkels, durchtränkt von symbolischen Redensarten und absichtlicher Geheimnißkrämerei, und voll von leeren, hohlen Worten, die trotz ihrer anscheinenden Nüchternheit und Alltäglichkeit, unwahre und schwülstige Phrasen sind!... Viele der naturalistischen und fast alle der Ibsenschen Stücke sind trotz ihrer anfechtbaren Momente und ihrer Schwächen doch wenigstens interessant oder «entsetzlich spannend», «Baumeister Solneß» ist hingegen langweilig. Wen nicht literarisches Interesse oder kritischer Spürsinn ins Theater führen, den werden die drei Solneß-Stunden gründlicher einschläfern, wie eine Dosis Morphium. Ich fürchte aber, daß man letzteres allgemein vorziehen wird nicht nur der Billigkeit wegen, sondern weil es schmerzlos wirkt..... Die Ibsenianer müßten dem Lessing-Theater wahrlich sehr dankbar dafür sein, daß es ohne Aussicht auf materiellen Gewinn jedem Geistesproduct ihres Heroen seine Pforten öffnet, statt dessen zahlen sie mit Undank, und immer sind es die Darsteller, die für die Schwächen der wurmstichigen Dichtung verantwortlich gemacht werden. Sie vermochten ihre Aufgaben nicht zu fassen, vermochten den Geist des Dichters nicht zu begreifen, ... das ist der Kern der Ausstellungen, wenn man diese des umgebenden Wort- und Phrasenschwalls entkleidet. Phrasen, hochtönende und dabei doch so inhaltsleere Redensarten das sind die Waffen, mit denen diese verblendeten Verehrer des nordischen Meisters nicht nur ihre Widersacher, sondern auch die Künstler abthun, die ihre ganze Kraft, ihr volles Können in den Dienst der trübseligen Muse «Ibsen und Genossen» stellen. Und wo etwas vom Publikum nicht richtig verstanden, wo eine angeblich großartige Scene ausgelacht wird, da ist neben der «Verständnißlosigkeit» des Publikums immer diejenige der Darsteller Schuld. So ist es auch wieder bei «Baumeister Solneß» gekommen. Während alle «Unparteiischen» darüber einig sind, daß nur die geradezu meisterhafte Darstellung das Stück überhaupt genießbar gemacht hat, gehen die Herren Ibsenianer mit den Künstlern wieder gar streng ins Gericht, und ein Kritiker spricht sogar von einer «Hosenrollenschablone» des Fräulein Reisenhofer! ... Es ist demgegenüber die Pflicht jedes ehrlichen und unbeeinflußten Referenten, nachdrücklichst zu constatiren, daß neben den charakteristischen Darbietungen der Damen Sauer und Meyer sowohl Fräulein Reisenhofer als Herr Reicher in den Hauptrollen wahre Meisterleistungen boten und ihnen das große Verdienst gebührt, wenigstens einige Züge der von ihnen dargestellten Gestalten veranschaulicht und dem Verständniß des Publikums näher gebracht zu haben. Ganz so verrückt, wie der Dichter und seine Verehrer es gewünscht, konnten die Künstler ihre Figuren nicht spielen. Dazu gehört eben die Naivetät thatsächlich Gehirnkranker, und um diese höchste Vollendung der Darstellung zu erreichen, müßten die Herrschaften schon ein Haustheater in der maison de santé errichten. Vielleicht tritt man an maßgebender Stelle demnächst diesem Gedanken näher, zu dessen Verwirklichung eine endgiltige Allianz mit den Spiritisten-Vereinen sehr empfehlenswerth wäre. Dann hätte diese Art dramatischer Literatur doch endlich die ihr gebührende Heimstätte gefunden.

Publisert 27. mars 2018 23:19 - Sist endret 27. mars 2018 23:19