Eugen Zabel

Nora ved Lessing-Theater anmeldt av Eugen Zabel i National-Zeitung i Berlin 27. november 1888 (No. 622, 41. Jahrgang).

Lessing-Theater.

Die Aufführung von Ibsens «Nora» im Lessing-Theater hat uns mit aufrichtiger Befriedigung erfüllt. Unter den Stücken des Dichters, die sich mit einem sozialen Problem beschäftigen, steht dieses Drama auf einsamer unerreichter Höhe. In ihm scheint sich Ibsens Kraft in der Gestaltung eines Motivs, das unserem modernen Gesellschaftsleben entnommen ist, erschöpft zu haben. Vor neun Jahren, als das Schauspiel mit Frau Niemann im Residenz-Theater in Scene ging, haben wir an dieser Stelle auf die ungewöhnlichen dichterischen Vorzüge des Stückes auf das Wärmste hingewiesen. Es enthält durchweg Leben, Seele und Charakteristik, ganz im Gegensatz zu den letzten Erzeugnissen Ibsens, in denen wir statt blühenden Fleisches nur noch wie in einem Beinhause klappernde Skelette zu sehen bekommen. Vor der kleinen Nora müssen sich die «Gespenster» mit ihrem niederdrückenden Pessimismus, der konfuse Ideenwirrwarr in «Rosmersholm» und die «Wildente», die sich aus einem Luftspiel in die Tragödie verirrt hat, ängstlich verstecken. «Nora» behandelt das Thema der Ehe mit einer psychologischen Vertiefung und einem sittlichen Ernste, von dem die modernen Franzosen keine Ahnung haben. Im Original heißt es mit Recht «Et Dukkehjem», was man mit «Puppenheim» oder «Kinderstube» übersetzen kann. In der That handelt es sich darum, wie eine Frau, die in ihrem Seelenleben ein Kind geblieben ist, aus diesem Zustand des Unbewußten gewaltsam herausgerissen wird und ihr Herz gegen die praktischen Anforderungen des Lebens ausspielen will. Diese Umstimmung erfolgt im letzten Akt und zwar mit einer Plötzlichkeit, die sich mit den Gesetzen der Bühnentechnik nicht mehr in Einklang bringen läßt und uns den Gedanken nahe legt, ob für die Erörterung dieser Frage der Roman nicht die analoge dichterische Form gewesen wäre. Aber Ibsen ist ein Dramatiker, und nur Dramatiker. Freuen wir uns daher, daß er den Vorwurf mit so reichen dichterischen Mitteln erfaßt und ihm durch die große sittliche Weltanschauung, die er zum Schluß vertritt, eine so befreiende und erhebende Idealität verliehen hat. Eine bessere Nora als Fräulein Petri vermögen wir uns nicht zu denken. Sie hat das Schlanke, Bewegliche, Geschmeidige von Betty Hennings, der berühmten Noradarstellerin in Kopenhagen, sie ist das Kind, das Ibsen sich in den ersten Akten gedacht hat, und wächst dann zur imponirendsten geistigen Größe heran. Die Nora verlangt eine naive und eine tragische Schauspielerin, Fräulein Petri hat bewiesen, daß sie Beides ist. Giebt es etwas Fröhlicheres und Unbefangeneres als ihr Spiel im ersten Akt? Nora phantasirt und lügt wie ein Kind, sie nascht von ihren Leckereien, sie putzt den Weihnachtsbaum, sie spielt Verstecken mit den Kleinen. Fräulein Petri entwickelte in diesen Dingen eine Anstelligkeit und Leichtigkeit, die uns jede Nuance ihres Spieles verständlich machte. Das Erstaunliche war jedoch zu beobachten, wie in dieses Kind das Bewußtsein des Weibes einzog und sie durch namenloses Seelenleiden für den Ernst des Lebens reif machte. Im dritten Akt vollzieht sich die seelische Entwickelung Noras plötzlich mit zehnfach beschleunigter Geschwindigkeit und diesen Uebergang, der zu den schwierigsten Aufgaben der Schauspielkunst gezählt werden muß, brachte Fräulein Petri mit spielender Leichtigkeit fertig. Die Tarantella tanzte sie äußerlich mit größtem Uebermuth, aber während des Tanzes wurde sie blaß und blässer und nachdem Helmer den Brief Günthers empfangen hatte, trat die völlige Entfremdung Noras von ihrem Gatten ein. Fräulein Petri machte es klar, wie es Nora plötzlich wie Schuppen von den Augen fällt, wie sie in dem Mann, mit dem sie acht Jahre zusammengelebt, dem sie drei Kinder geboren hat, einen wildfremden Menschen sehen muß. Sie stand in der Thür, ohne eine Bewegung zu machen, nur die Augen zeigten uns, welch unermeßlicher Abgrund sich zwischen Mann und Frau aufgethan hat und jedes Wort, das nacher fiel, trug den Stempel jener unerbittlichen Wahrheit und Ueberzeugung, die rücksichtslos ihrem Ziele zustrebt. Fräulein Petri hat mit der Nora die Summe ihres schauspielerischen Könnens gezogen, sie ist jetzt in ihrem Fach eine Meisterin ersten Ranges, im Vollbesitz der Jugend und zugleich einer Kunst, die sie Hedwig Niemann zur Seite stellt. Die Inscenirung der «Nora» hatte Ernst Possart, der den Günther mit packender, wenn auch vielleicht allzu scharfer und grausiger Charakteristik spielte, in vorzüglicher Weise besorgt. Noras Zimmer bildete die eigentliche Scene, links sah man ins Speisezimmer, gradezu in den Korridor mit dem verhängnißvollen Briefkasten, rechts in Helmers Arbeitszimmer. Herr Vischer spielte dem Doktor Rank, Herr Stägemann den Advokaten Helmer, Frau Stägemann die Frau Linden, sie Alle gaben getreu und ehrlich wieder, was sie von dem Dichter und seinem Werke empfangen hatten.

E. Z.
Publisert 2. apr. 2018 13:46 - Sist endret 2. apr. 2018 13:46