Leopold Schönhoff

Nora på Berliner Theater anmeldt av Leopold Schönhoff i Frankfurter Zeitung und Handelsblatt 30. april 1892 (Nr. 121, 36. Jg.).

[Berliner Theater.]

Man schreibt uns aus Berlin: Ibsens «Nora» ist nunmehr auf die dritte Berliner Bühne gelangt. Zuerst wurde das Schauspiel im Residenztheater mit Frau Niemann-Raabe gegeben, damals mußte noch dem Geschmack des großen Publikums zu Liebe ein versöhnlicher Schluß hinzugefügt werden; vor drei Jahren führte man es im Lessingtheater mit glücklichem Gelingen auf; gestern wurde es im Berliner Theater zum ersten Male mit Frl. Sorma in der Titelrolle dargestellt. Das Berliner Theater ist aus äußeren und inneren Gründen am wenigsten geeignet für Aufführungen von Dramen, die moderne ethische Probleme oder intime Seelenvorgänge behandeln. Das liegt am Hause und an seinem Publikum. Ein gewaltiger Zuschauerraum wird von Leuten aus mittlerer, bürgerlicher Gesellschaft gefüllt. Modernen Streitfragen, complicirten Charakteren ist dieses Publikum am meisten abhold. Im Vorjahre war denn auch das Zug- und Kassenstück des Berliner Theaters der Kean des alten Dumas, in diesem Jahre ist es Ohnets «Hüttenbesitzer», ein Schauspiel, das in dieser Saison bald seine hundertste Aufführung erlebt. In dieser Gesellschaft nimmt sich Ibsens «Nora» verwunderlich genug aus. Das Drama wurde übrigens nur darum hervorgeholt, um dem Frl. Sorma Gelegenheit zu geben, eine Aufgabe, die sie wohl reizen mochte, zu lösen. Frl. Sorma wurde in diesen Blättern kürzlich von einem begeisterten Verehrer eine «Naive» genannt. Dieser Theaterbegriff deckt sich nicht völlig mit der Kunst von Frl. Sorma. Aus der Theaternaiven, die sie anfangs war, wuchs Frl. Sorma im deutschen Theater bald heraus. An Grillparzers Hand wurde sie zur Menschendarstellerin. In der Komödie, «Weh dem, der lügt,» und vor Allem in der Jüdin von Toledo erreichte Frl. Sorma das Höchste, was ihr bisher zu erreichen beschieden war. Das Naiv-Sinnliche, wie das Kokett-Anmuthige, ist ihr Element. Ein hellaufklingendes Lachen, ein unterdrücktes Schluchzen im jähen Stimmungswechsel, das gelingt ihr am trefflichsten. Auch den Ton naiver Verderbtheit traf sie überraschend gut; sie bewies es als Engstrands Tochter in den «Gespenstern». Die Frau aber darzustellen, die unter fröhlichem Kindergetändel über sich zu reflektiren beginnt und dann unter Unglücksschlägen zu rücksichtsloser Selbstständigkeit reift, das gelang ihr nicht, wenigstens nicht auf den ersten Wurf. Kein Schatten trübte die kindische Unbefangenheit dieser Nora und als die fertige, schwergeprüfte Frau dann vor uns stand, als hätte sie nicht eine bestimmte Entwicklung durchgemacht, sondern als wäre eine zauberhafte Offenbarung über sie gekommen, da fragte man sich: Wie kommst du zu deiner Weisheit? Bot Frl. Sorma als Nora wenigstens manche Anregung, manches meisterlich erfaßte Detail, so war fast Alles Uebrige um sie herum farblos und steif. Für die handwerksmäßige Vergröberung der Kunst, wie sie leider auf unseren Bühnen überhand nimmt, ist folgender Zug bezeichnend. Als Nora das Heim ihres Gatten verlassen hat, läßt der Regisseur eine Pause machen. Nach dieser Pause fällt mit großem Krach das Hausthor hinter Nora zu, als Zeichen etwa, daß nun Alles aus sei zwischen Hollmann und Nora. Ehrliche Theaterbesucher und naive Gemüther meinten allen Ernstes, der Krach bedeute einen Pistolenschuß, den Nora gegen sich abgefeuert habe. Das kommt davon, wenn der Regisseur allzuschlau «Stimmung» machen will. Adolf Sonnenthal beendigt morgen sein Gastspiel im Residenztheater. Am 2. Mai spielt er dann noch im Schauspielhause den «Clavigo». Den echtesten künstlerischen Erfolg hatte er als «Graf Waldemar». Hier deckten sich sein Stil, seine Individualität vollkommen mit der besonderen Art der Freytagschen Dichtung. Hier wurde selbst Sonnenthals Manier zur großen Tugend und vor diesem vollendeten Genie mußten alle Fehden über Kunstrichtungen und Stilgattungen, die Sonnenthals Gastspiele in Berlin regelmäßig neu entfachen, verstummen. Als Verfasserin des Lustspiels «Agrippina», das im Schauspielhause kürzlich aufgeführt wurde, hat sich Frl. v. Schabelsky bekannt.

L. Sch.
Publisert 2. apr. 2018 14:07 - Sist endret 2. apr. 2018 14:07