Max Burckhard

Die Frau vom Meere ved Burgtheater i 1903 anmeldt av Max Burckhard. Transkribert fra Max Burckhard, Theater. Kritiken, Vorträge und Aufsätze, II. Band (1902-1904), Wien 1905, s. 161-167.

Die Frau vom Meere.

Schauspiel von Henrik Ibsen.  Burgtheater 24. April 1903.


Gar seltsam spielen in den modernen Dramen des Sozialreformers Ibsen Romantik und Satire ineinander, und unter sich sind sie alle durch ein Netz von Fäden, die sich von Personen zu Personen, von Ideen zu Ideen spinnen, so eng verbunden, daß es in gewissem Sinne ein großer Dramensyklus ist, der mit den «Stützen der Gesellschaft» oder doch mit «Nora» begonnen hat und den der Dichter mit seinem «Epilog» hat ausklingen lassen.

So bildet auch «Die Frau vom Meere» nur ein Glied in dem großen Gefüge und steht in mannigfachen Beziehungen zu den andern Werken des Dichters. In engstem Zusammenhange aber ist ihr Ideengehalt mit «Nora» und den «Gespenstern», während die Figur der «Frau vom Meere» selbst in mancher Hinsicht in Rebekka West auf Rosmersholm, dem «reizenden Meerweib», wie Ulrik Brendel sie nennt, ihre Vorläuferin hat.

In Nora führte uns der Dichter eine Frau vor, die, zur Erkenntnis gelangt, daß ihre Ehe keine wahre Ehe sei, weil sie nicht auf Wahrheit und Freiheit beruhe, den Gatten und die Kinder verläßt und sich nicht bestimmen läßt, auch nur eine einzige Nacht noch in dem Hause des «fremden Mannes», der ihr der Gatte jetzt ist, zu verweilen. In den «Gespenstern» gab Ibsen denen die Antwort, die gefühlvoll um die von der Mutter verlassenen Kinder zeterten, er zeigte, daß, wo die Frau die Achtung vor dem Manne verlieren mußte, sie eben um der Kinder willen, der künstigen nämlich, die eheliche Gemeinschaft nicht fortsetzen dürfe. Und in der «Frau vom Meere» erhalten die ihren Teil, die da jammerten, wohin es mit der bürgerlichen Institution der Ehe kommen würde, wenn die Gatten auseinandergehen könnten, sobald es ihnen beliebte. Die Freiheit, zeigt uns der Dichter, kräftigt die Ehe, wo aber etwas nicht klappt, wo also der Zwang seine vermeintlich erhaltende Wirkung üben sollte, da ist gerade er am ehesten geeignet, die Ehe zu sprengen.

Ellida hat den Arzt Wangel geheiratet, nicht aus Liebe, sondern um der Versorgung willen. «Du kamst und kauftest mich», sagt sie. Aber sie hat ihn lieben gelernt. Doch etwas steht zwischen ihnen, das sie ihrem Manne verschwiegen hat. Sie hat sich einst mit einem fremden Seemanne verlobt, der hatte ihre beiden Ringe an einen Schlüsselring geschoben und zum Zeichen der Verlobung in das Meer hinausgeworfen. Dann mußte er fort. Er schrieb ihr, sie aber antwortete, daß alles zwischen ihnen aus sein müsse, doch er schrieb immer wieder nur, sie solle auf seine Wiederkunft warten. Und immer noch steht sie unter seinem Banne, unter dem Einfluß einer «unbegreiflichen Macht über die Seele», und durch den steten Gedanken an den Fremden ist sie ihrem Manne ferngerückt. Und nun kommt der Fremde wirklich und verlangt, daß sie mit ihm gehe: «Das bedenke wohl, gehst du nicht morgen mit mir, dann ist alles aus.» Zunächst wendet sie sich an Wangel um Rettung, aber je mehr die Zeit verrinnt, desto genauer erkennt sie, was allein ihr Hilfe bringen kann: frei muß sie wieder sein, ihr Mann muß ihr die Freiheit zurückgeben, damit sie in Freiheit wählen kann. Sonst weiß sie nicht, ob sie nicht «ein Leben in Freiheit, ein volles und unverkürztes,» verscherzt habe. Nur so kann sie das «Grauenvolle», «jenes Ziehen und Locken im eigenen Gemüt» überwinden. Nur auf das, was sie «wählen» kann, kann sie «verzichten». Nach langem Kampfe, im letzten Augenblicke gibt ihr der Mann die Freiheit, er macht den «Handel rückgängig», der seinerzeit geschlossen wurde, und sagt: «Jetzt kannst du in Freiheit wählen. Und unter eigener Verantwortung.» «In Freiheit und – unter eigener Verantwortung» wiederholt Ellida: «Unter eigener Verantwortung auch? Darin liegt die Kraft der Wandlung.» Sie klammert sich an Wangel an und sagt: «Nimmermehr verlass´ ich dich von dieser Stunde an!»

Mit diesem Gedanken, daß nur die volle Freiheit der Frau die Kraft gibt, das «Grauenvolle, das abschreckt und anzieht», jenes «Ziehen und Locken im eigenen Gemüt» zu überwinden, das dem fremden Manne Macht gibt über ihre Seele und ihren Leib, mit diesem Gedanken ist in wundervoller Weise verwoben ein Zug tiefer Romantik.

«Der Mann ist wie das Meer», sagt Ellida selbst. Nicht so sehr unter dem Banne des fremden Mannes als noch viel mehr unter dem Banne des Meeres stehend, wird uns Ellida vorgeführt. Sie gehört, wie Wangel sagt, «zum Meervolk». «Haben Sie nicht bemerkt,» fragt er Arnholm, «wie die Menschen da draußen am offenen Meer gewissermaßen ein Volk für sich sind? Es ist beinahe, als lebten sie des Meeres eigenes Leben mit. Es ist Wellengang – und auch Ebbe und Flut – in ihrem Denken wie in ihren Empfindungen.» Und Ellida sagt zu Arnholm: «Ich glaube, wenn sich die Menschen nur von Anfang an gewöhnt hätten, ihr Leben auf dem Meere zu verbringen – oder vielleicht im Meere -, so wären wir weit vollkommener als wir jetzt sind. Nicht nur besser, auch glücklicher.» Und: «Ich glaube, die Menschen ahnen selbst so etwas. Und tragen es mit sich herum wie eine geheime Reue und Kümmernis. Sie können mir glauben – eben darin hat die Schwermut der Menschen ihren tiefsten Grund.» Und mit dem fremden Steuermanne da hatte Ellida meist vom Meere gesprochen: «Von Sturm und von Stille. Von finsteren Nächten auf dem Meer. Von dem Meer an glitzernden, sonnenhellen Tagen sprachen wir auch. Aber meist sprachen wir von den Walfischen und von den Delphinen und von den Seehunden, die in der Mittagshitze gewöhnlich draußen auf den Schären liegen. Und dann sprachen wir von den Möven und von den Adlern und all den anderen Seevögeln.» Und da kam´s ihr vor, «als wären sie alle, Seetiere und Seevögel, mit ihm verwandt», und wäre auch sie «mit ihnen allen verwandt geworden». Ellida ist so zugleich eine Personifikation des geheimnisvollen Einflusses, den das Meer auf das menschliche Gemüt übt. Und der «Fremde» personifiziert gleichsam auch die magische Macht des Meeres.

Zwischen diesen Ranken der Romantik lugen aber gar spitze Stacheln der Satire aus den Zweigen der Dichtung heraus. Prächtige Spielarten des Verkehrs wohlerzogener junger Damen mit Personen des männlichen Geschlechts bieten Bolette und Hilde, die zwei Töchter Wangels aus erster Ehe. Um der Versorgung willen verlobt sich Bolette mit dem alternden Oberlehrer Arnholm, beide aber, besonders die halberwachsene Hilde, flirten mit dem lungenkranken Lyngstrand. Gott, es ist so langweilig den ganzen Tag, und dann hat das mit seiner Krankheit «solchen Reiz», findet Hilde. «Ihn anzusehen und ihn erzählen zu lassen, daß es nicht gefährlich ist, und dann, daß er ins Ausland reisen und Künstler werden will. Das alles glaubt er fest und ist so seelenvergnügt dabei. Und doch wird nichts daraus werden. Nie und nimmer. Er lebt ja nicht mehr lange. Sich das vorzustellen, das find´ ich so spannend.»

Ein Musterknabe von Egoismus ist aber auch der junge Mann. Wenn wir Hilde Wangel im Baumeister Solneß wieder begegnen, so ist der junge Bildhauer Lyngstrand wenigstens ein Vorläufer des gereisten Bildhauers Rubek im «Epilog», der im Interesse seiner Kunst die Frau nur als Modell ansieht, das ihn anregt und inspiriert. Wie der alte Rubek hinsichtlich der Frauen handelt, so philosophiert der junge Lyngstrand über sie. Die Ehe erscheint ihm wie eine Art Wunder, das darin liegt, «daß die Frau sich allmählich umwandelt und ihrem Manne ähnlich wird», und als das Herrliche für eine Frau dünkt ihm, daß sie dem Manne die «Arbeit leichter machen kann, indem sie um ihn ist und ihn hegt und pflegt und ihm das Leben recht angenehm macht.»

All seinen Hohn für diese landläufige Auffassung vom Wirkungskreise der braven Gattin legt Ibsen Boletten in den Mund, wenn er sie antworten läßt: «Sie wissen selbst nicht, wie egoistisch Sie sind.» Das hindert Bolette freilich nicht, ihm zu versprechen, wenn er fort ist, werde sie treu und warm an ihn denken. Und er hofft auf ein Wunder und meint, «wenn ich wieder heimkomme als ein namhafter Bildhauer und in guten Verhältnissen und in der Fülle der Gesundheit» – ja freilich, was dann sein wird, sagt er vorsichtigerweise selbst nicht, er sagt nur: «das können Sie getrost hoffen». «Aber es kommt doch sicher nichts dabei heraus», seufzt Bolette. «Doch,» erwidert Lyngstrand, «und wenn auch nur dabei herauskäme, daß ich um so leichter und flotter an meinem Werke arbeiten könnte.» Für sie aber soll erquickend sein, «hier in der Abgeschiedenheit das Bewußtsein, daß sie ihm sozusagen beim Schaffen geholfen».

Und dann spricht er mit Hilde davon, was Bolette ihm versprochen, und auf ihre Frage, ob er Bolette dann heiraten werde, sagt er ganz ruhig «Nein». «Das wird sich nicht gut machen lassen. Denn ich darf die ersten Jahre an so was nicht denken. Und wenn ich mal so weit bin, dann wird sie wohl schon ein bißchen zu alt für mich sein, glaub´ ich.» Und auf die weitere Frage Hildes: «Aber doch wollen Sie, sie soll immer an Sie denken?» erwidert er mit der größten Naivität: «Ja, weil das für mich so förderlich ist. Für mich als Künstler, verstehen Sie.» Und dann sagt er zu Hilde: «Wenn ich wieder nach Hause komme, dann sind Sie ungefähr so alt wie jetzt Ihre Schwester. Vielleicht sehen Sie dann auch so aus, wie Ihre Schwester jetzt aussieht. Und vielleicht denken und fühlen Sie dann ebenso wie jetzt Ihre Schwester. So daß Sie vielleicht dann Sie und Ihre Schwester – in einer Gestalt sind sozusagen.» Also Hilde wäre es, die er dann vielleicht bereit wäre, zu heiraten. Bis dahin aber solle Bolette ihn – lieben. Und weil er das «spannend» findet, «da irgendwo in der Welt ein junges, feines und verschwiegenes Weib zu wissen, das Tag und Nacht still von Einem träumt», findet Hilde wieder den Gedanken an schwarze Kleider, «schwarz von oben bis unten», «ganz schwarz bis an den Hals – schwarze Halskrause – schwarze Handschuhe – und ein langer schwarzer Schleier hinten runter» so «spannend». Wie hat doch dieser seltsame Mann tief in die innersten Falten der menschlichen Seelen geblickt!

Die Aufführung gab dem Dichter nicht, was des Dichters gewesen wäre. Ihr fehlte die Stimmung, vor allem der Hauch des Romantischen, des «Grauenvollen», der dieses Stück durchweht. Der Darstellerin der Hauptrolle insbesondere, Frau Bleibtreu, fehlt der romantische, man möchte fast sagen hysterische Zug für die «Frau vom Meere». Aber natürlich, Frau Bleibtreu hatte jüngst ein paar große Erfolge, und da gibt man ihr, da man früher urteilslos nichts von ihr hielt, nun, ebenso urteilslos, Rollen, die sie nicht spielen kann. Manche Leute lernen eben gar so langsam – und dann noch dazu das Falsche. Wenn eine Schauspielerin die Frau Alving in den «Gespenstern» und die Isabella in der «Braut von Messina» glänzend spielt, dann folgt daraus noch lange nicht, daß sie die richtige Darstellerin für die «Frau vom Meere» ist. Im Gegenteile, es ist von vornherein recht unwahrscheinlich, falls es sich nicht etwa um allumfassende Individualitäten wie die Duse oder die Sandrock handelt. Man hat eben im Burgtheater niemand für Rollen wie die «Frau vom Meere». Und das ist mehr als ein Unglück, es ist eine schwere Schuld, wenn man die Kraft, die man so notwendig braucht, haben könnte, aber justament nicht haben will.

Auch Sonnenthals Wesen deckt sich nicht ganz mit der Figur des Distriktsarztes Wangel. Es kam nicht heraus, daß es diesem Manne an dem «rechten Zug» fehlt, auch nichts von seiner Schwäche und von seinen kleinen Schwächen, von denen die Mädchen reden, insbesondere von der leichten Anlage zum Süffling, die er hat und die der Dichter so meisterhaft mit ein paar Strichen andeutet.

Gar nicht unheimlich war Herr Heine, der den unheimlichen «Fremden» gab. Er spielte ihn mit einer geradezu beleidigenden Nüchternheit und Schnoddrigkeit. Was hätte Mitterwurzer, was hätte seinerzeit Gabillon aus der Figur gemacht!

Gründlich verdarb auch Herr Frank seine prächtige Rolle, den jungen Lyngstrand. Die unheimliche Geschichte mit dem «Fremden» auf dem Schiffe ging ganz verloren, und weil er einen Lungenkranken spielte, meinte er wohl, er müsse so leise und undeutlich reden, daß man recht wenig verstehe, und so verschluckte er auch die meisten seiner Pointen, sogar die «Hebamme», die er Hilden zu versetzen hatte.

Auch Herr Treßler war diesmal in der Rolle des Ballested nicht so gut, als wir es von ihm schon seit geraumer Zeit gewohnt sind. Er machte zu viel und so fiel die Figur aus dem Ibsenschen Drama heraus.

Sehr gut gab Frau Retty die vom Dichter herrlich gezeichnete Gestalt der Hilde – nur «verkörperte» sie dieses halbwüchsige Mädel etwas zu viel, doch das ist ja nicht ihre Schuld. Vortrefflich waren in der «Verlobungsszene» Herr Nissen als Oberlehrer Arnholm und Frau Medelsky als Bolette. Sie griffen keck zu und scheuten sich nicht, die Leute lachen zu machen, wo der Satiriker die Linien führt. Heute kann man das schon riskieren, heute wissen die Leute schon, daß man bei Ibsen auch lachen darf. Besonders den Schluß der Szene spielte Frau Medelsky sehr lieblich – wenn auch vielleicht nicht ganz im Sinne der Dichtung.

Der Dekorateur, um auch seiner nicht zu vergessen, hat uns einen stimmungsvollen Park und einen echten Fjordprospekt beschert. Störend war nur der auf den Gletscher hinaufgemalte Schatten, der unbeweglich an demselben Flecke beharrte und sich noch immer vom hellen Schnee abhob, als die Sonne längst gesunken war und die Dämmerung der Nacht zu weichen begann. Allzu natürlich wird auch in der Dekoration oft unnatürlich.

Publisert 6. apr. 2018 09:52 - Sist endret 24. aug. 2018 15:05