Paul Lindau

Die Frau vom Meere ved Königliches Schauspielhaus anmeldt av Paul Lindau i Berliner Tageblatt 6. mars 1889 (Nr. 118. XVIII. Jg.).

Theater, Kunst, Wissenschaft.

P.L.   Die Aufnahme, die Ibsens Schauspiel «Die Frau vom Meere» gestern im Königlichen Schauspielhause gefunden hat, beweist unstreitig Eines: daß die Erkenntniß von der Bedeutung Ibsens sich bei uns Bahn gebrochen, und daß man diese Gelegenheit mit Genugthuung hat ergreifen wollen, um den Dichter der «Nora», der «Gespenster», der «Wildente» zu feiern. Ich habe mich in dieser vorläufigen Notiz in herkömmlicher Weise darauf zu beschränken, über das Schicksal des Stückes und über die Darstellung einige Worte zu sagen. Die Kritik des Dramas behalte ich mir vor. Nun, wenn ich die Hervorrufe, die nach jedem Akte erfolgt sind, zählen und berichten wollte, wie oft dem Dichter die stürmischen Zurufe aus dem überfüllten Hause entgegengebraust sind, so würde man auf einen mächtigen und begeisterten Erfolg schließen dürfen. Aber diese Angabe wäre eine Falschmeldung, die gerade den Dichter kränken müßte, der den trügerischen Schein so gründlich aus tiefstem Herzen verachtet und bis in den Kern der Wahrheit eindringt. Täuschen mich meine Wahrnehmungen nicht, so hat sich Ibsen mit diesem Stücke das Publikum des Schauspielhauses noch nicht erobert. Die von dunklen Andeutungen ganz erfüllten verheißungsvollen ersten zwei Aufzüge schienen allgemein eine ungewöhnliche Spannung hervorzurufen und schlugen das Publikum in starken Bann. Dann aber schien sich der Zusammenhang zwischen der Bühne und dem Publikum zu lockern. Die Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Paaren erschienen trotz ihres Gedankenreichthums zu lang, um die Theilnahme des Publikums festzuhalten. Die unzweideutigen Anzeichen der Abspannung und Ermattung, das Räuspern und Köpfewenden, ließen erkennen, daß die rechte Stimmung sich verflüchtigt hatte. Der Beifall, der zuerst den Saal durchrauscht, so stark er auch noch war, hatte nicht mehr jenen Ausdruck der Echtheit, wie in den vorhergehenden Aufzügen. Es mischten sich auch die unangenehmen Laute des Protestes hinein. Wir dürfen zu unserer Freude hinzusetzen, daß der Respekt vor dem anwesenden Dichter die Opposition zum maßvollsten Gebahren veranlaßte, und daß Ibsen jedesmal, wenn er auf der Bühne erschien, in herzlichster Weise begrüßt wurde.

Die Rolle der Frau vom Meere schien dem sanften und milden Wesen des Fräulein Clara Meyer eigentlich fern zu liegen. Um so mehr hat uns diese vorzügliche Künstlerin durch ihr tiefsinniges Erfassen und den energischen Ausdruck überrascht. In ihrem Auge, in ihrer Stimme, in ihren Bewegungen lag jene krankhafte Ueberreizung und Nervosität, die allein das Unbegreifliche dieses seltsamen Weibes begreiflicher macht. Die düstere Monotonie, die Herr Ludwig gewählt hat, taugte durchaus für das Geheimnißvolle des fremden Mannes. In der Erscheinung hätte vielleicht das dämonisch Fascinirende, die hypnotische Gewalt, die der Fremdling auf die Schwärmerin ausübt, noch anschaulicher wirken müssen. Herr Vollmer hatte seinen schwindsüchtigen Bildhauer sehr gut angelegt. Er hatte Züge von einer Feinheit, die, wenn man ihn ganz genau betrachtete und die Ohren spitzte, rührend und ergreifend wirkten. Aber er hat sich vollkommen vergriffen im Stärkegrade. Er sprach Alles genau so wie ein Unglücklicher, der mit einer Viertellunge spricht. Um jedoch den Raum des Schauspielhauses auszufüllen, braucht auch ein Schwindsüchtiger die ganze Lunge. Mehr als die Hälfte seiner Worte blieben selbst bei gespanntester Aufmerksamkeit der Zuhörer unverständlich. Herr Reicher, Gatte der Frau vom Meere, Dr. Wangel, sprach verständig und mit kluger Einfachheit. Aber er sah gar zu philiströs aus. Es mag ja richtig sein, daß Bezirksärzte in einem entlegenen Winkel Norwegens nicht bedeutender aussehen, als er uns hier gezeigt worden ist; aber daß eine Frau, die diesem Manne die Hand reicht, von diesem das Wunderbare, das Grauenhafte, das unermeßlich Beseligende und selig Vernichtende fordert, das ist bei dieser Erscheinung allzu unglaubhaft. Die beiden Töchter (Frau von Hochenburger und Fräulein Conrad) setzten frisch ein. Die wenigen wirklich herzlichen Worte, die in dem Stück überhaupt vorkommen, sprach Frau v. Hochenburger recht warm. Fräulein Conrad nahm mit einem kecken Anlauf einige nicht unbedenkliche Hindernisse. Auch der Oberlehrer des Herrn Keßler ermangelte nicht einer gewissen Charakteristik, und die kleine Rolle des vielseitigen Ballested wurde von Herrn Bornemann angemessen dargestellt. Die Dekorationen waren sehr schön. Aber wiederum möchten wir darauf hinweisen, daß die Grundbedingung jeder guten Vorstellung die Deutlichkeit ist. Fast bin ich zu der Annahme geneigt, daß der Umbau des Schauspielhauses die Akustik wesentlich geschädigt hat. Sehr Vieles war schwer und Manches war gar nicht verständlich. Das ist doppelt mißlich bei einem Stücke von Ibsen, in dem jedes einzelne Wort seine Wichtigkeit hat.

Publisert 6. apr. 2018 09:52 - Sist endret 6. apr. 2018 09:52