Theodor Fontane

Die Frau vom Meere ved Königliches Schauspielhaus anmeldt av Theodor Fontane i Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen. Vossische Zeitung, Berlin, 21. mars 1889 (Nr. 135).

Theater, Musik, Konzerte rc.

Königliche Schauspiele.

Ibsens «Frau vom Meere» nahm bei seiner ersten Aufführung auf der königl. Bühne mein Interesse so sehr in Anspruch, daß, bei der kurz gegebenen Zeit, für eine Besprechung dessen, was seitens der Darsteller geboten wurde, keine Muße blieb. Einige Adjektiva, die das Spiel kurz charakterisiren sollten, waren sogar in der Ueberhast nicht einmal richtig gewählt worden. Kurzum, ich wohnte der fünften Vorstellung der «Frau vom Meere» (Dienstag Abend) wieder bei, um die vor 14 Tagen eingegangene Schuld, wenn man will, eine Spiel-Schuld, zu begleichen.

Das Hauptinteresse blieb wieder bei der Darstellerin der Frau vom Meere, bei Fräulein Clara Meyer, und gleich der erste Moment ihres Auftretens, dann (Akt 1.) die Szene vor der Laube, wo sie der Erzählung Lyngstrands von der ungetreuen Meerfrau lauscht, dann (Akt 2.) das Gespräch mit Wangel auf dem Klippenvorsprung am Fjord und endlich ihr zweites Hauptgespräch mit Wangel im 4. Akte, waren auch vorgestern wieder Glanzpunkte, die denselben Zauber übten wie das erste Mal. Aber manches andere war doch erheblich schwächer und selbst die vier vorgenannten Szenen standen nicht überall auf gleicher Höhe. Nur im 1. Akt (ihr erstes Auftreten und ihre Haltung bei Lyngstrands Erzählung) erschien mir ihr Spiel nahezu vollendet, in die beiden Gespräche mit Wangel aber, Akt 2. und 4., mischte sich schon Herkömmliches, eine gewisse Phrase des Tons. Im Ganzen wird sich sagen lassen: da, wo die Künstlerin sich ruhig oder doch zurück halten soll, war sie Ellida, wo sie leidenschaftlich oder doch ergriffen sein sollte, war sie Clara Meyer. Nur Eines blieb ihr durch das ganze Stück hin treu: der Zauber der Erscheinung.

Neben Fräulein Clara Meyer war es Herr Ludwig, den ich, am ersten Abend, am meisten bewundert hatte. Auch dieser Eindruck wiederholte sich, aber ebenfalls etwas abgeschwächt. Es ist eine gewiß sehr schwierige Rolle, und sie vor dem Scheitern an der unaufhörlich drohenden Lächerlichkeitsklippe bewahrt zu haben, bleibt Hrn. Ludwigs unzweifelhaft großes Verdienst. Aber so sehr dies anzuerkennen, so möcht ich doch andrerseits glauben, daß die Wirkung dieser Rolle, mit der, bis zu einem gewissen Grade, das Stück steht und fällt (denn der Erscheinung dieses Mannes liegt es ob, uns das Behextsein Ellidas, außer dem was sie aus eigenen Mitteln hinzuthut, glaubhaft zu machen) daß die Wirkung dieser Rolle, sag ich, größer sein müßte und bei genialerer Behandlung auch größer sein könnte. Was Herr Ludwig geben will, giebt er vortrefflich und führt seinen «zweiten Steuermann mit dem sonderbaren Blick» konsequent und mit gut berechneter künstlerischer Wirkung durch; es fragt sich aber, ob das genügt und ob die Rolle nicht mehr erheischt. Er müßte, nach meiner Meinung, in erster Reihe den sonderbaren Blick als solchen, das Gespensterauge geben, das nur zufällig in einen Menschen hineingesteckt worden ist, etwa wie ein weißes Zifferblatt, mit einem Hippenmann drauf, in einen Uhrkasten. Nicht auf den Uhrkasten kommt es an, sondern auf das merkwürdige Zifferblatt, nicht auf den Steuermann, sondern auf das Auge. Nun giebt zwar Herr Ludwig das Auge, ja er giebt es sogar sehr gut, aber der ganz durchschnittsmäßige «sailor», der durch seine Touristen-Emballage: Plaid, Reisetasche, schottische Mütze noch durchschnittsmäßiger wird, hebt doch ein gut Theil seiner Augenwirkung wieder auf. Die Kunst hätte hier eine Gestalt schaffen müssen, realistisch und gespenstisch zugleich, aber das Gespenstische prävalirend. Im Märchen und in der Ballade giebt es solche Gestalten, und wie in der erzählenden, so gewiß auch in der dramatischen Dichtung. Ich würde z. B. den «Mann vom Felsen» in Grillparzers «Der Traum ein Leben» dahin rechnen.

Die dritte Rolle des Stücks, die des Doktors Wangel, hat in Herrn Reicher einen ausgezeichneten Vertreter gefunden. Ich fand dies, bei der Wiederholung, nicht blos bestätigt, sondern hatte den Eindruck noch entschiedener als das erste Mal. Es ist gesagt worden: die Rolle könne minder prosaisch gegeben werden, wobei Figur und Stück nur gewinnen würden. Und dies erschien mir erwägungswerth. Nach diesem zweiten Sehen indeß möcht ich mich für den unveränderten Reicherschen Wangel entscheiden. Er ist nicht prosaisch; er ist nur schlicht, brav, gut, voll herzlicher Liebe, dabei, namentlich in der großen Szene des 4. Akts, von einem scharfen und eindringenden Verstand. Und all das bietet uns nicht blos die Rolle, sondern auch Herrn Reichers Spiel, so daß ich, bis ich Besseres sehe, dies Spiel, will sagen seine Auffassung der Rolle, für das Richtige halte. Wenn mehr Bedeutung und sittliche Größe von ihm verlangt worden ist, so kann ich dem nicht recht zustimmen; er hat diese sittliche Größe und daß sie sich so schlicht giebt, steigert sie nur noch. Auch paßt es zu Ellidas Haltung besser, daß er so ist, wie er ist. Jeder Anflug von «Forschheit» auf seiner Seite würde ihn zu einem Konkurrenten des «Steuermanns mit dem sonderbaren Blick» machen; er hat aber nur als Gegensatz zu demselben zu wirken.

Herrn Keßlers Oberlehrer Arnholm ist sehr gut. Der ältere Oberlehrer (ausnahmsweise mit Vermögen) wie er im Buche steht. Und doch wäre hier eine kleine Zugabe von etwas Apartem, von etwas durch Geist und Bildung und vielleicht auch durch einen seinen Humor Ueberlegenem muthmaßlich am Platze gewesen. Es kommen Stellen in der Rolle vor, so z. B. in der vor der Laube spielenden Szene (Akt 1.), die dies humoristisch Ueberlegene nicht nur zu gestatten, sondern zu fordern scheinen, während Herr Keßler den ebenmäßigen, von Bildung, Philisterthum und langer Junggesellenschaft angekränkelten Oberlehrer giebt. Ibsen, in seinen Figuren, ist aber der Mann der Mischungen.

Und diese Mischungen finden sich denn vor allem auch in Bolett (Frau v. Hochenburger) und Hilde (Frl. Conrad), den beiden Töchtern Doktor Wangels. Bolett ist eine Mischung von Häuslichkeitssinn mit Welt- und Reisesehnsucht, Hilde eine Mischung von Gefühlstiefe mit Backfisch-Uebermuth, von innerster Liebe mit redensartlicher Grausamkeit, von Unerzogenheit mit romantischem Interesse. «Spannend», das ist ihr Wunsch, ihre Welt. Auf das Gefällige der Erscheinung hin angesehen, waren die Darstellerinnen beider Rollen gleich, aber sehr ungleich in Bezug auf Charakterisirung. Frau v. Hochenburger hebt Alles, was sie zu sagen hat, viel zu sehr in die Sphäre der höheren Liebesszene, des innigsten Herzenstons, so daß man, an mehr als einer Stelle, Sulamith oder Desdemona zu hören glaubt. Bolett muß aber etwas praktisch Alltagsmäßiges und als es endlich zum Verloben kommt, etwas unfreiwillig Komisches haben; wir haben jedoch immer nur Frau v. Hochenburger und was trotzdem an Komik verbleibt, ist die Komik der Situation nicht die des Spiels. Das Spiel macht sogar Abzüge davon. Fräulein Conrad dagegen ist die Vorführung eines echt Ibsenschen Charakters durchaus geglückt; alles was der Dichter in die Rolle hineingelegt, kommt zum Ausdruck und was der Darstellerin vielleicht am höchsten anzurechnen ist zu einem nirgends verletzenden Ausdruck. Einige sehen in der Hilde nichts als einen von Natur fragwürdigen, dabei wenig liebenswürdigen Charakter, dessen Unliebenswürdigkeiten, und zwar unter Wegfall jeder eigentlichen Erziehung, sich ziemlich bedrohlich entwickelt haben. Gewiß trotzdem Einzelnes dem geradezu widerspricht läßt sich die Rolle auch dem entsprechend spielen; Fräulein Conrad aber hat, indem sie auf ausschließliche oder auch nur besondre Hervorkehrung des Unerzogenen, Unliebenswürdigen und Lieblosen verzichtete, nicht blos das Richtigere, sondern vor allem auch das Schönere getroffen, was bei sonstiger künstlerischer Gleichberechtigung, doch immer das zu Bevorzugende bleibt.

Herr Bornemann, als Maler, Friseur und Tanzmeister Ballested, ist sehr gut und vielleicht ist es auch Herr Vollmer als brustkranker Bildhauer Lyngstrand. In der Szene vor der Laube (Akt 1.), wo er die Geschichte von der ungetreuen Meerfrau erzählt, ist er es gewiß und alles, was er hier giebt, kann als eine Leistung vollkommenster Kunst gelten. Trotzdem ist es für Ibsen und sein Stück geradezu ein Unglück, daß Herr Vollmer, zu dessen wärmsten Verehrern ich gehöre (wer schätzte ihn nicht!), mit dieser Rolle betraut wurde. Das Stück, wie selbst die glühendsten und unbedingtesten Ibsen-Verehrer nicht bestreiten werden, steht überall auf der Wippe, von Minute zu Minute glaubt man den schrecklichen Sturz zu sehn, und ist heilsfroh den überkühnen Seiltänzer endlich in der glücklich erreichten Thurmluke verschwinden zu sehn. Du sublime au ridicule.. und Abgründe wohin man blickt. Und in ein solches Stück hinein stellte man Herrn Vollmer. Sein bloßes Erscheinen bedeutet unter Umständen Vernichtung. Wenn der linken Schale der Wage drei Zentner Plus sicher sind, so kann Herr Vollmer leibhaftig und mit dem ganzen Vollgewicht seiner Komik in die rechte Schale hineingestellt werden, wenn das Zünglein der Wage aber zittert und schwankt und ein Federchen schon ausreicht den Ausschlag zu geben, dann ist schon der bloße Name Vollmer gefährlich. Es war geradezu erschrecklich, wobei alles gelacht wurde. Sein Auftreten, sein Abgang war allemal das Signal zur Heiterkeit. Das ist aber mehr als «Die Frau vom Meere» ertragen kann. So kam es denn, daß die letzte Vorstellung ganz und gar den Charakter einer Lustspiel-Vorstellung an ein paar Stellen selbst mit Hinneigung zum Ulk hatte, deren komische Szenen im im Ganzen genommen harmlosen Benedix-Stil es dem sonderbaren norwegischen Dichter beliebt hatte, durch Kuriositäten und einige verschrobene Thesen zu unterbrechen. Solche Betrachtungen aber im Publikum nicht aufkommen zu lassen, muß man bei Besetzung der Rollen um so beflissener sein, als das Stück selbst schon genugsam zu solchen Betrachtungen herausfordert.

Und bei der Gelegenheit denn auch noch mal ein Wort über das Stück selbst. Es ist so viel darüber geschrieben worden, und das «darüber» war meist ein «dagegen.» Ich kann diesen Gegnern nicht zustimmen, wennschon ich mich in ihrer Gegnerschaft nur zu gut zurecht finde. Vielleicht ist «die Frau vom Meere» das angreifbarste von Ibsens Stücken, aber vielleicht auch das genialste, das kühnste. Es war eine Kolossal-Aufgabe, die er sich hier stellte, und er war nahe daran, sie glänzend zu lösen. Er scheiterte, weil sein, nach meinem Dafürhalten, von einer unseligen Doktrin beherrschter Geist auch hier wieder mit seinem «Eheproblem» an die Sache heran wollte, und diesen Dietrich in der Hand zerbrach er das Schloß statt es kunstvoll zu öffnen. Konnte Ibsen auf die nochmalige Applizirung seiner Thesen, auf die Lehre von der Freiwilligkeit, von der freien Wahl und von «unter Verantwortung» – lauter Wendungen, die bereits einen schweren Stand in der Berliner Gesellschaft haben konnte Ibsen, sag ich, auf diese Thesen als Arcanum in Ehe-Angelegenheiten (ach, wie bequem wär es, wenn man damit Ordnung in die Welt bringen könnte) diesmal wenigstens verzichten, konnt er sich entschließen, ohne zu seinem Zauberformeln zu greifen, einfach auf dem alten hausbackenen Wege herzlicher Liebe, die zuletzt mächtiger ist als aller Natur- und Höllenspuk und besonders auch mächtiger als Freiwilligkeit, freie Wahl und «unter Verantwortung», konnte er sich entschließen, es mit dem Einfachsten, Natürlichsten und Bewährtesten, statt mit etwas Herausgeklügeltem, schließlich durchaus Unwahrem und gewiß auch immer unwahr Bleibendem, weil sich nichts im Leben auf solche fix und fertigen Sätze zurückführen lässt, zu versuchen, so hätten wir ein grandioses Stück gehabt. Denn bis zu der Stelle (Akt vier), wo Ellida, mitten in dem halb ängstlichen Kreuzverhör, plötzlich anfängt von «gekauft», «unsittlich» und «Nicht-Ehe» zu sprechen, bis zu dieser Stelle scheint mir alles nicht blos in bester Ordnung, sondern auch ein großer und genialer Wurf zu sein. Wie Ibsen überhaupt ein Terrain-Eroberer ist, so ganz besonders auch in diesem Stück. Giebt es Gestalten wie Ellida? Ja. Giebt es ihrer viele, so daß von einem «Ausnahmefall» nicht mehr die Rede sein kann? Auch ja. Und damit ist die Berechtigung, einen solchen Stoff und solche Heldin zu wählen, ein für allemal gegeben. Die Menschen bleiben sich gleich, gewiß; die Menschen wechseln, eben so gewiß. Von Jahrhundert zu Jahrhundert werden andere Lebens- und Gesellschafts-Typen geboren und im 14. Jahrhundert gab es keine Damen mit Brillen oder einer Feder hinterm Ohr (wie in «Fräulein Kommerzienrath»), oder einem Romanmanuskript unterm Arm. Jetzt giebt es solche Damen, und weil es solche Damen giebt, sind sie berechtigte Figuren auf unserer Bühne geworden. Genau so mit den Ellidas. Es hat Jahrhunderte ohne Ellidas gegeben, jetzt kommen die Jahrhunderte mit. Und weil sie da sind, diese nervösen Frauen, zu Hunderten und Tausenden unter uns leben, so haben sie sich, einfach durch ihre Existenz, auch Bühnenrecht erworben. Oder will man ihnen gegenüber von «Krankheit» sprechen? Was heißt krank? Wer ist gesund? Und wenn krank, nun so bin ich eventuell fürs Kranke. Karl Frenzel, jetzt, zu meinem Schmerz, so sehr gegen Ibsen, schrieb einmal, «daß er zu Beginn des vorigen Jahrhunderts lieber unter dem unsittlichen König August in Dresden, als unter dem sittlichen König Friedrich Wilhelm I. in Berlin gelebt haben würde.» Mir ganz aus der Seele gesprochen. Und so sag ich: ich lebe mit Kranken wie Ellida (namentlich, wenn sie wie Frl. Clara Meyer aussehen), lieber, als mit der Mehrzahl der Gesunden, die mir in meinem Leben vorgestellt wurden.
Th. F.
Publisert 6. apr. 2018 09:52 - Sist endret 6. apr. 2018 09:52