Heinrich Stümcke

Gespenster anmeldt av Heinrich Stümcke i Modernes Theater. Eindrücke und Studien, Forlag «Deutsche Bücherei», Berlin (1907), s. 123-125.

Ibsen und Wedekind in den «Kammerspielen».

Am 8. November 1906 hat Max Reinhardt das Kammerspielhaus des Deutschen Theaters mit der Aufführung von Ibsens «Gespenstern» eröffnet, und das theaterfrohe Berlin um eine der interessantesten und originellsten Schöpfungen bereichert. Aus einem Balllokal, das für das Berliner quartier latin etwa ein ins Berlinische übersetztes Moulin rouge bedeutete und für das Deutsche Theater L´Arronges und Brahms zwei Jahrzehnte lang nicht eben eine würdige Nachbarschaft bildete, hat die Künstlerhand eines jungen Architekten, William Müller, ein Schüler Professor Messels, den intimsten aller intimen Musentempel geschaffen. Das Aeußere des Gebäudes ist wenig verändert, keine prunkende Fassade mit figürlichem Schmuck, keine weithin prangende Goldschrift. Auch im Vestibül und in den Garderobengängen fehlen alle Wandgemälde und Statuen, und in dem diskreten, mit Palisander getäfelten kleinen Vorsaal steht als einziger Schmuck eine kühn stilisierte Marmorbüste Henrik Ibsens wie ein Symbol des Schutzpatrons des neuen Hauses. Der Zuschauerraum hat sich der Form des ehemaligen Tanzsaales angepaßt. Die schlichte weiße Stuckdecke, in deren Mitte der Kronleuchter jede Aufdringlichkeit vermeidet, die Mahagoni getäfelten Wände, denen sich die Leuchtergruppen in Wachskerzenform stilgerecht anpassen, die in sanften Halbkreisen gestellten karminroten großen und bequemen Sessel; alles ist darauf berechnet, die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf die Bühne zu konzentrieren, die kein Souffleurkasten, kein Orchesterraum, sondern nur die dunkelrote Gardine von dem Saale trennt. Keine grelle Rampenbeleuchtung, keine Glockensignale vor dem Aufgehen des Vorhanges, und schon die erste Probe aufs Exempel lehrte uns, daß diese Bühne ihrem Zweck, die intimsten Offenbarungen moderner Schauspielkunst zu vermitteln, wahrhaft gerecht werden wird. Bedeutete die Aufführung der «Gespenster» an jenem denkwürdigen 9. Januar 1887 im Residenz-Theater einen Markstein, so kann die jetzige als ein Schlußstein gelten, denn alle Bedingungen, um gerade diesem Werk des großen Norwegers zu vollster Wirkung zu verhelfen, erscheinen mir hier restlos erfüllt. Wir haben manche glänzende Ensembleleistung, manche großartige Einzelleistung aus früheren Aufführungen der nordischen Familientragödie in gutem Gedächtnis, aber keine hat durch die Phrasierung und Rhythmisierung des Ganzen, die Natürlichkeit des Dialogs und der Pausen solchen Eindruck auf uns gemacht. Agnes Sorma gab zum erstenmal die Frau Alwing, gab sie ganz ihrem innersten Wesen gemäß, erfüllte sie mit wundervoller Menschlichkeit und Mütterlichkeit, war keine Niobe und keine Heroine, aber offenbarte wie keine ihrer Vorgängerinnen, daß das Gespensterdrama nicht die Tragödie des jungen Malers, sondern die der Mutter ist, wie Ibsen es gewollt hat. Die zweite große Ueberraschung des Abends war Friedrich Kayßlers Pastor Manders. Wie die Sorma das Heroenhafte, so vermeidet er alle priesterliche Salbung, alles Jesuitenhafte, er ist ganz das gute große Kind, das mit sich und der Welt nie ganz fertig werden wird, trotz der ergrauten Schläfen der ewig jung gebliebene Predigtamtskandidat mit den in der Aufregung fahrigen Gesten und der ängstlich behüteten Wingolfkeuschheit. Oswald hieß Alexander Moissi. Die Rolle liegt ihm wie keine frühere, das Morbide, Seltsame, Dekadente, das er in seiner Erscheinung und Sprache in andern Aufgaben oft störend an den Tag legt, fügt sich hier zu einem Gesamtbild von ergreisender Lebensechtheit. Die Wahnsinnsscene am Schluß haben wir seit Zacconi so realistisch nicht gesehen, doch vermeidet es Moissi mit Recht, nach dem Muster des Italieners die ganze Rolle zu einer psychiatrischen Studie zu machen. Lucie Höflich als dralle, lebenshungrige, bald zynisch freche, bald schlaue, demütig werbende Regine wirkte ganz im Sinne des Dichters. Max Reinhardts Engstrand ist seit langem als Glanzleistung des scharfen Charakteristikers bekannt, die im Rahmen dieser intimen Bühne an Eindringlichkeit und Feinheit im einzelnen natürlich nur gewonnen hat. – Eigentümlich berührt der Gedanke, daß vor 20 Jahren die Aufführung der «Gespenster» ein von der hohen Polizei nach Kräften erschwertes Wagnis bedeutete. ...

Publisert 30. apr. 2018 10:37 - Sist endret 30. apr. 2018 10:37