Karl Frenzel

Freie Bühnes oppsetning av Gespenster på Lessing-Theater i Berlin anmeldt av Karl Frenzel i National-Zeitung i Berlin 30. september 1889 (No. 539, 42. Jg.).

Freie Bühne.

Eine Anzahl unserer jüngeren Schriftsteller und Künstler hat die Entdeckung gemacht, daß unsere öffentlichen Bühnen, so viele wir ihrer haben, doch noch nicht allen Ansprüchen und Forderungen genügen, daß es nothwendig und an der Zeit sei, eine Bühne zu schaffen, auf der sich die neue naturalistische Kunstrichtung jedes Zwanges und jeder Rücksicht ledig entwickeln könne. Rasch entschlossen haben sie der Freiheit eine Gasse gebrochen und einen Verein «Freie Bühne» gegründet. Das Glück, die Neugierde oder, wie sie sagen werden, das Bedürfniß und die Erkenntniß, daß man endlich die alte Kunst in die Rumpelkammer verweisen müsse, haben sie begünstigt; in kurzer Zeit haben sich aus dem Kreise ihrer Genossen, der Kunstfreunde und der Börse etwa 700 Mitglieder zusammengefunden, das letzte gedruckte Verzeichniß der Mitglieder weist 634 auf: eine hinlänglich große Zahl, um eine Reihe von Vorstellungen, im Lessing-Theater, des Sonntags in den Mittagsstunden zu ermöglichen. Um den Leser über die Zwecke und Ansichten der Herren, welche den Verein leiten zu unterrichten, beziehe ich mich auf eine von Otto Brahm, S. Fischer, Ludwig Fulda, Gerhart Hauptmann, Heinrich Hart, Julius Hart, Paul Jonas, Fritz Mauthner, Paul Schlenther und Julius Stettenheim unterzeichnetes, den Mitgliedern zugestelltes Rundschreiben. Danach wird die «Freie Bühne» in diesem Herbst und Winter folgende Stücke aufführen: «Gespenster» von Ibsen; «Vor Sonnenaufgang» von Gerhart Hauptmann; «Henriette Maréchal» von Edmond und Jules de Goncourt; «Die Macht der Finsterniß» von Graf Leo Tolstoi; «Das vierte Gebot» von Ludwig Anzengruber; «Der Handschuh» von Björnstjerne Björnson; «Von Gottes Gnaden» von Arthur Fitger und «Der Vater» von A. Strindberg. «Befreit von den Rücksichten des täglichen Theaterbetriebes, wollen wir der stockenden Entwickelung des deutschen Dramas frische Impulse zuführen, durch die dramatische Verwirklichung einer neuen Kunst», fahren die Herren nach der Mittheilung ihres Spielplans fort. «Den Sieg, den moderne Anschauungen, in der Malerei und in der Dichtung, über das Alte und Abgelebte, das Schablonenhafte und die leere Routine bereits gewonnen haben, wollen wir auch auf dem Theater erringen helfen, und den großen Vertretern realistischer Kunst bei den fremden Nationen wollen wir die Versuche der Deutschen wagend beigesellen. Wir binden uns an keine ästhetische Theorie und schwören auf kein Programm, sondern wir heißen alles willkommen, was frei und groß und lebend ist, nur das Werk der erstarrten Form bleibe uns fern, das Produkt der Berechnung und der Konvention.»

Sieht man von der Wortverbrämung ab, so bleibt als Kern dieses Programms die alte, traurige Ausländerei, nur daß Rußland, Dänemark und Norwegen an die Stelle Frankreichs gerückt sind. Den Meisterwerken der Fremden will man «die Versuche der Deutschen wagend beigesellen». Von acht aufzuführenden Stücken gehören fünf dem Auslande an, zwei die Stücke von Anzengruber und Fitger bedürfen gar nicht der «freien Bühne», da es kaum einen Freund des Theaters in Deutschland geben dürfte, der nicht ein Schauspiel von Anzengruber und Fitgers «Hexe» gesehen hätte: so bleibt ein einziges deutsches Stück übrig, für das oder für dessen Dichter die «Freie Bühne» förderlich sein könnte. Einzig von diesem Gesichtspunkte aus hätte aber die neue Gesellschaft eine gewisse Berechtigung. Ueber den künstlerischen Werth oder Unwerth der Schauspiele, die im Laufe eines Jahres in Deutschland geschrieben werden, mögen die Meinungen weit auseinander gehen, darüber wird kein Streit sein, daß die eine und die andere Dichtung, die wohl die Aufführung verdiente, durch unüberwindliche Hindernisse von den öffentlichen Bühnen aber ausgeschlossen ist, sich darunter befindet. Zahlreich werden diese ausgeschlossenen Werke nicht sein, allein ein halbes Dutzend könnte ich aus den letzten Jahren doch namhaft machen, deren Darstellung sich vielleicht lohnte, den Zuschauern Vergnügen bereitete und dem Dichter zur Probe und zum Sporn diente. Hier wäre eine Aufgabe für einen Theaterverein, der, dem Mäcenas im Kleinen nachahmend, den jüngeren Talenten die Wege ebnete und den älteren Dichtern zu ihrem Recht verhülfe, wenn sich ihnen Hof- und Stadtbühnen dauernd zu spröde verschlössen. Gesteh ich es, daß ich in meinem altmodischen Idealismus dies von unserm Verein erwartet hatte; darauf, daß es sich nur um einen Kursus des Gruselns, um die Kunst, in vierundzwanzig Stunden ein vollendeter Kenner aller Folterqualen und aller menschlichen Scheußlichkeiten zu werden, handeln sollte, hatte ich nicht gerechnet. Indessen ist auch das gut; wenn man wie Macbeth mit dem Verbrechen und mit Gespenstern zur Nacht gespeist und jeden Sonntag Wahnsinn, Gatten- und Kindermord behaglich vor dem Mittagsessen als ein die Verdauung beförderndes Mittel eingenommen hat, fangen wir hoffentlich an, Ibsen und Strindberg, Tolstoi, die Goncourts und den ganzen Naturalismus als eine Alltagserscheinung zu betrachten, die uns nicht stärker erregt, als irgend eine andere theatralische Neuigkeit. Damit aber sollen uns die Herren nicht kommen, daß sie die deutsche Kunst fördern, indem sie den fremden Götzen Weihrauch streuen. Was in diesen Stücken künstlerisch neu ist: die Einführung des kleinbürgerlichen Jammers und Elends in die dramatische Kunst, ist eine alte Errungenschaft der deutschen Bühne, ein neuer Aufguß von Iffland und Kotzebue.

Mit der dramatischen Dichtung sollte der Verein «Freie Bühne» zugleich die Schauspielkunst fördern. Er sollte versuchen, junge Talente heranzuziehen und an eigenartigen Aufgaben zu schulen. Je weniger die Bühnen, die jeden Abend ihre Mitglieder hinausschicken, zur liebevollen Pflege und Entwickelung des Einzelnen geeignet sind, denn ihnen muß in erster Reihe das Gesammtspiel die Hauptsache sein, desto freundlicher könnte ein Verein, der nur gelegentlich eine Aufführung giebt, in dem der Natur der Sache nach keine volle und unbeschränkte, sondern eine Art offiziöser Oeffentlichkeit herrscht, sich dem einzelnen Talente zuwenden, gerade wie es auf unseren alten Liebhabertheatern nicht darauf ankam, Lessings Trauerspiel «Emilia Galotti» gut darzustellen, sondern ein Talent sich in den Rollen des Prinzen, Marinellis, Emilias oder Orsinas erproben und entdecken zu lassen. Auch diese Hoffnung hat sich, wenigstens in der ersten Vorstellung, nicht verwirklicht: der Verein hat uns in ihr längst bewährte Künstler, von so fest begründetem Ruf und so bekannter Eigenart vorgeführt, daß eine gelungene oder mißlungene Rolle ihrer Beliebtheit und ihrer Berühmtheit weder etwas nehmen noch geben kann.

Mit diesen Kräften war denn die Vorstellung des Familiendramas von Henrik Ibsen «Gespenster» am Sonntag den 29. September eine im Allgemeinen vorzügliche. Frau Marie Schanzer, die seit dem Jahre 1885 sich von der Bühne zurückgezogen hatte, spielte die Frau Helene Alving, Fräulein Agnes Sorma die Regine, Herr Emmerich Robert den Oswald, Herr Arthur Kraußneck den Pastor Manders, Herr Theodor Lobe den Tischler Engstrand; die Regie hatte Herr Hans Meery übernommen. Die Herrschaften verdienen wegen ihres Eifers und der Bereitwilligkeit, mit der sie ihre Talente dem Verein zur Verfügung gestellt haben, uneingeschränkten Dank. Die Kritik hat im Grunde mit einer solchen Vorstellung im geschlossenen Kreise und Künstlern gegenüber, die nur aus Neigung zur Sache und aus Gefälligkeit spielen, nichts zu schaffen: ich beschränke mich darum auf zwei allgemeine Bemerkungen. Einmal war die Bühne zu dunkel, wie in ewige Dämmerung gehüllt, selbst als im zweiten Akte die Lampe gebracht wurde, wollte der graue Schatten nicht weichen, und dann wurde für mein Gefühl das Tempo, wenigstens in den zwei ersten Akten, denen ich beiwohnte, sowohl im Vortrage, wie in den Kunstpausen zu langsam gegriffen. Im Ganzen glich diese zweite Vorstellung der «Gespenster» im Spiel, wie in der Wirkung der ersten, im Januar 1887 im Residenztheater. Wieder schaute das richtige Berliner «Premièren-Publikum» der Aufführung zu, mit blaßgrünlichen Gesichtern, wie bei allen Vormittagsdarstellungen, in der nervös gereizten und unsicheren Stimmung zwischen Theater- und Betsaal, die nun einmal, Dank der Ibsen-Gemeinde, bei den Aufführungen eines Ibsenschen Stückes gebräuchlich geworden ist. Auch wer sie nicht empfindet, wird doch von ihr angesteckt. Eine feine Nase würde schon an dem Duft und Dunst des Hauses gemerkt haben, daß ein Schauspiel von Ibsen in Aussicht war. Ueber das Stück habe ich den Lesern nichts zu sagen, sie kennen meine Ansicht, und «ich lasse Jedem seinen Sinn und Meinung.» An wohl erworbenem Beifall hat es den Künstlern nicht gefehlt, und der Verein «Freie Bühne» wird es sich zweifellos hoch anrechnen, daß er einer «Auswahl der Berliner Gesellschaft» die Ibsenschen «Gespenster» in einer gelungenen Darstellung vorgeführt hat: ein Verdienst, das ihm nicht geschmälert werden soll.

K. Fr.
Publisert 21. mars 2018 13:07 - Sist endret 21. mars 2018 13:07