Karl Frenzel

Gespenster på Residenz-Theater Berlin anmeldt av Karl Frenzel i National-Zeitung i Berlin 11. januar 1887 (No. 19, 40. Jahrgang).

Residenz-Theater.

Sonntag, den 9. Januar fand in einer Wohlthätigkeits-Matinée im Residenz-Theater eine einmalige Aufführung des Familiendramas in drei Aufzügen von Henrik Ibsen «Gespenster» vor einem ausverkauften Hause statt. Henrik Ibsen gehört zu den populärsten Dichternamen der Zeit, in seinem Vaterlande Norwegen wie bei uns in Deutschland. Wenn nicht mehr, so hat er doch unter uns begeistertere Anhänger als in seiner Heimath. Denn die politische Gegnerschaft, die sich dort gegen ihn wie gegen Björnson oft in heftigster Weise geltend macht, besteht bei uns nicht in dem gleichen Maße. Die Wirkung seiner Dichtungen bleibt bei uns in dem doch immer engen Kreise der Schriftsteller, der Künstler, der literarischen Feinschmecker beschlossen. Nur eins seiner Schauspiele «Stützen der Gesellschaft» hat auf der deutschen Bühne dauernd Eingang gefunden und auf das größere Publikum einen bedeutenden Einfluß ausgeübt. «Die Kronprätendenten» erregten selbst in der kostbaren und originellen Darstellung der Meininger, 1876 im Friedrich Wilhelmstädtischen Theater, wegen ihrer Fremdartigkeit wohl Erstaunen, aber keine Theilnahme; die «Nordische Heerfahrt» brachte es im Wiener Burgtheater zu keinem größeren Erfolge und «Nora» vermochte auch die schauspielerische Kunst der Frau Hedwig Niemann nicht lange auf dem Repertoire des Residenz-Theaters zu halten. Auch mit dem Familiendrama «Gespenster» würde es im gewöhnlichen Theaterleben keinen andern Verlauf haben. Eine ungewöhnliche Kraft der Charakteristik, eine große Beherrschung der theatralischen Technik, ein ergreifender Tiefsinn sind hier an einem peinlichen Stoff verschwendet. Das Problem von der Vererbung der Eigenschaften, der Krankheiten, der Sünden der Väter auf die Kinder bildet das Grundmotiv des Stücks, das mehr einer dramatisirten Novelle, als einem Schauspiel gleicht; denn der Nerv des Dramas, die Handlung fehlt gänzlich. Die Vergangenheit wird vor uns entwirrt, und als der Knäuel der Verirrungen entwirrt ist, sehen wir den leidenden Helden der Geschichte, Oswald Alving, dem Wahnsinn durch Gehirnerweichung rettungslos verfallen und seine Mutter unaufhaltsam zu der That gedrängt, ihn und sich letzteres vermuthe ich nur durch Gift von allem Elend dieses Lebens zu erlösen. Mit dieser Frage entläßt uns der Dichter; hat er nicht den Muth gehabt, uns eine Mutter zu zeigen, die ihren einzigen Sohn lieber tödtet, als ihn im Wahnsinn dahin vegetiren zu lassen, oder ist ihm selber ein Zweifel gekommen, ob dieser Schluß das richtige Facit seiner Voraussetzungen sei, ich vermag es nicht zu sagen.

Oswald ist der Sohn eines leichtsinnigen, ausschweifenden Vaters, des Kammerherrn Alving; bei einem ersten Anfall der Krankheit hat Oswald in Paris, wo er als Maler lebt, den berühmtesten Arzt konsultirt, die Sünden der Väter werden an den Kindern gerächt, hat ihm dieser gesagt und ihm zugleich bedeutet, daß nach einem zweiten Anfall das Leiden unheilbar sein würde. In namenloser Angst ist Oswald von Paris zu seiner Mutter, die «auf ihrer Besitzung an einem großen Fjord im westlichen Norwegen», in der Nähe einer mittelgroßen Hafenstadt, lebt, zurückgeeilt. Er kommt gerade, um der Einweihung eines Kinderasyls beizuwohnen, das Frau Helene Alving dem Andenken ihres Gatten, zehn Jahre nach seinem Tode, errichtet. Ibsen hat seine ganze Kunst und Kraft aufgewandt, uns diese Figur als eine ebenso thatkräftige wie sympathische Frau und Mutter zu schildern. Dennoch geht, so weit ich den Zusammenhang menschlicher Dinge zu begreifen vermag, von ihrer Falschheit oder Feigheit die Verkettung des Unglücks aus. Mit einer andern Liebe im Herzen, zu dem Pastor Manders, der jetzt als ihr Berather in Geld- und Asylgeschäften auftritt, hat sie sich von ihrer Mutter und ihren Tanten an den reichen, hübschen, jungen Lieutenant Alving verkuppeln lassen. Aber bald fühlt sie sich in dieser Ehe so unglücklich, daß sie aus dem Hause ihres Mannes flieht zu dem Pastor, der, schwach, dumpfgläubig und eine Stockfischnatur, wie er ist, ihr nichts anderes zu rathen weiß, als zu ihrem Gatten zurückzukehren und ihr Kreuz auf sich zu nehmen. Die Frau, statt sich um jeden Preis von dem treulosen und ausschweifenden Mann zu trennen eine gesetzliche Scheidung wäre ein so natürliches wie einfaches Mittel, sich aus ihrer entwürdigenden Lage zu befreien folgt diesem Rathe und lebt mit Alving weiter. Erst jetzt wird Oswald geboren, mit sieben Jahren wird der Knabe aus dem Hause geschickt, um ihn nicht zum Zeugen der Laster des Vaters zu machen; die Frau hat unbedingte Macht über den Gatten gewonnen, seit sie sein sträfliches Verhältniß zu einer Dienerin des Hauses entdeckt hat. Nach Außen hin sucht sie indeß alles zu bedecken und zu bemänteln, Alving, der Hauptmann und Kammerherr geworden, gilt für einen Ehrenmann, einen Wohlthäter der Gegend, während in Wahrheit Helene all dies Gute und Rühmliche vollendet. Daß die Welt von dem Scheine getäuscht wird, mag sein, obgleich die Klatschsucht, die Schadenfreude und die Verleumdung der Menschen mir viel zu mächtig erscheinen, um ihnen auf die Dauer etwas verbergen zu können; was mir aber nicht eingehen will, ist die Handlungsweise Helenens, die neunzehn Jahre in dieser Lüge lebt und sie nach dem Tode ihres Mannes noch weitere zehn Jahre aufrecht erhält. Erst heute eröffnet sie sich dem Pastor Manders, als dieser, von einigen freien Reden Oswalds gereizt, ihr vorwirft, daß sie eine schlechte Gattin, eine schlechte Mutter gewesen. Der letzte Zweck ihrer Handlung und Lebensführung, die Bewahrung ihres Kindes vor dem Gifthauch des Vaters, ist aber, wie gesagt, doch nicht erfüllt worden: von seiner Geburt her siech, ist Oswald todtkrank zu ihr zurückgekehrt. Dabei hat er alle Eigenschaften des Vaters, er raucht, ißt und trinkt im Uebermaß ganz wie dieser, er liebelt mit der Zofe Regine, wie dieser einst mit der Zofe Johanna. In demselben Zimmer: Als Frau Alving das Geflüster der jungen Leute vernimmt, glaubt sie «Gespenster» zu hören. Regina ist natürlich Johannas Tochter, Oswalds Schwester; sie gilt für die Tochter des Tischlers Engstrand, der gegen dreihundert Speziesthaler die Mutter geheirathet hat. Seit Jahren lebt Regina im Hause der Frau Alving, sie ist ein hübsches, kerngesundes Mädchen, leichtfertig und lebenslustig. Bald denkt sie mit dem jungen Herrn nach Paris zu reisen, bald dem Pastor Manders die Wirthschaft zu führen. Auf dem Lande gefällt es ihr längst nicht mehr. Ihr Vater, der auf dem Gute, bei dem Bau des Asyls, gearbeitet, hat sich dabei eine kleine Summe erspart und gedenkt damit eine Matrosenschenke in der Stadt zu kaufen, die Tochter soll ihn begleiten. Engstrand ist ein verschmitzter Heuchler, ein Trunkenbold, mit einer Fülle pietistischer Redensarten, der den einfältigen Pastor durch die Maske des reuigen Sünders zu täuschen weiß und ihn schließlich durch einen Zufall völlig in seine Gewalt bekömmt. Bei der Abendandacht, die der Pastor, auf Wunsch Engstrands, in dem Asyl hält, geräth das Gebäude durch eine Unvorsichtigkeit Manders in Brand: das Licht mit den Fingern putzend, wirft er die Schnuppe unvorsichtig in die Hobelspähne. Engstrand hat es gesehen, Engstrand kann es bezeugen aber ist er der Mann dazu, einen Freund zu verrathen? Und der Mann Gottes, der Frau Alving abgerathen hat, das Asyl zu versichern, weil das wie ein Mißtrauen gegen die Vorsehung aussähe, geht freudig auf diese Bundesgenossenschaft ein und Arm in Arm verläßt das würdige Paar das Haus. Die Dritte in diesem Bunde der Heuchelei, der Furcht vor der Meinung der Leute, der Selbstsucht und der Leichtfertigkeit, Regine, zögert nicht lange, ihnen nachzueilen. Als sie von Frau Alving, die sich endlich nach so erschütternden Vorfällen den Muth gefaßt hat, die Wahrheit zu bekennen, hört, daß sie Oswalds Halbschwester ist, daß es sich weder um ihre Verheirathung mit dem jungen reichen Herrn, noch um eine lustige Reise nach Paris, sondern um eine beschwerliche Krankenpflege handle, verläßt sie mit kurzem, frechem Abschiede das Haus. Ihr Fortgang bringt Oswalds Leiden zum Ausbruch: nicht, weil er sie liebt, sondern weil er in ihr die Einzige gesehen hat, die ihm den größten Liebesdienst erweisen würde ihn zu vergiften. Diesen Dienst fordert er nun, wahnsinnig im Sessel zusammenbrechend, von der verzweifelnden Mutter. Wie zum Hohn oder ist es der Ausdruck der erhabensten Objektivität? läßt der Dichter über dieser Scene strahlend die Scene aufgehen.

Zwei Dinge sind von vornherein klar: daß sich hier kein Theaterstück im gewöhnlichen Sinne des Wortes, weder eine Wildenbruchsche Tragödie noch eine Komödie von Alexander Dumas, abspielt und daß man dem Dichter nicht mit den landläufigen Grundsätzen und Anschauungen der Moral kommen darf. Eine Dichtung des düstersten Pessimismus, nimmt dies «Familiendrama» so wenig auf unsere ästhetischen Empfindungen wie auf unsere angelernte und überkommene Moral Rücksicht. «Es ist nicht allein das, was wir von Vater und Mutter geerbt haben, das in uns umgeht», sagt Frau Alving. «Es sind allerhand alte, todte Ansichten und aller mögliche alte Glaube und dergleichen. Es lebt nicht in uns, aber es steckt in uns und wir können es nicht los werden. Wir alle sind Gespenster... Und dann sind wir alle mit einander so gottsjämmerlich lichtscheu». Und in diesem Sinne fallen denn auch die kühnsten und verwegensten Worte. Aber es bleiben eben nur Worte und Einfälle. Zu irgend einer That kommt es nicht. Die einzige Handlung des Stücks, der Brand des Asyls, ist das Werk des Zufalls, und der Einzige, der Vortheil davon zieht, ist der Tischler Engstrand, der sich als resoluter Mensch vor keinen Gespenstern und vor keinem Schicksal durch Vererbung fürchtet. Das Schicksal der Alten trieb den Menschen zu einer Gräuelthat: Oedipus erschlägt den Vater, Orest die Mutter; das Schicksal durch Vererbung ist in unserem Falle Gehirnerweichung. Wahr mag es sein, aber es ist nicht tragisch; die Physiologen mögen den Fall, den Auflösungsprozeß auf seine Richtigkeit hin untersuchen, die Poesie hat nichts mit ihm zu schaffen. Was kann der arme Junge für seinen Vater? Und wenn wir nun wenigstens von diesem Vater Dinge schlimmster Art hörten! Aber was hat er denn so Uebles gethan? Viel getrunken, sinnlose Reden geführt, Liebschaften gehabt und sein Leben trotz seiner «Ruchlosigkeit» immerhin auf fünfundvierzig Jahre gebracht. Die vorurtheilslose Frau Helene, die so leicht über ein etwaiges Verhältniß ihres Sohnes mit Reginen hinwegfährt, kann doch im Ernst ihrem Mann kein Kapitalverbrechen aus seiner Verbindung mit ihrer Magd machen. Es ist jämmerlich, unter der Furcht, wahnsinnig zu werden, hinleben zu sollen, aber mit zwölf Morphiumpulvern in der Tasche ist man der Herr seines Schicksals, man kann sich nach dem ersten Anfall tödten und braucht den zweiten, den unheilbaren, nicht abzuwarten. Hat Oswald nicht eine glückliche, heitere, ruhmgekrönte Jugend gehabt? Wie Wenige haben seine Freuden genossen! «Schütte das Gift in dein Champagnerglas und stirb!» würde ich ihm darum sagen. «Warum jammerst du so? Auch Patroklos ist gestorben, der viel besser war, als du!»

Wozu betone ich dies Alles? Um zu zeigen, was Jeder weiß, daß es aus dem Dunst und der Dumpfheit des Jammers, in der die Ibsenschen Helden ersticken, für den vorurtheilslosen und muthigen Menschen eine Rettung giebt, wenn er nicht resignirt und geduldig das Leid dieses Lebens ertragen will? Nein, sondern um erkennen zu lassen, wie der vom Dichter gewählte Stoff sich zur Tragödie, aus dem Unerquicklichen zum Heroischen, aus dem Herzkränkenden zum Erhebenden und Befreienden steigern ließe. Oswald, der freiwillig den Tod wählt, um sich das Elend, der Mutter den Anblick seiner Qual, der Geliebten Schmach und Noth zu ersparen, ist ein Held, während er jetzt nur ein beklagenswerther Kranker ist. Aber, wird mir der Dichter, werden mir seine Verehrer entgegnen, das wäre eine Idealisirung gewesen und wir wollen keine Ideale. Einverstanden, nur werden sie mir dann gestatten müssen, mich von dieser «Gemeinheit der Natur» abzuwenden, ich gehe im Leben den Trunkenbolden und den Irrsinnigen aus dem Wege, warum sollte ich sie in der Kunst aufsuchen? Es ist bezeichnend für die Welt- und Kunstanschauung des Dichters, daß die realistischen rohen Naturen, Engstrand und Regine, bei ihm die einzig gesunden, thatkräftigen und in ihrer Weise glücklichen sind, der eigentliche Bohrwurm seiner Helden ist ihre Idealität. Niemand kann sich dem Eindruck der schöpferischen Kraft Ibsens, der in den fünf Gestalten seines Dramas so volle, runde, ganze Menschen hingestellt hat, daß sie sich unvergeßlich dem Gedächtniß des Zuschauers oder des Lesers einprägen, Niemand der starken Wirkung des ersten Aktes entziehen. Mit großem Geschick ist der Stoff in die Zeit eines Tages, in den Raum eines Zimmers zusammengedrängt; obgleich er sich nicht in Handlungen, in dem Kampfe der Personen und Meinungen Hamlets gegen seinen Oheim, Tassos gegen Antonio, Lears gegen seine Töchter vor uns ausbreitet, sondern in Erzählungen ein wenig mühsam auseinandergelegt wird, tritt nur selten eine längere Stockung, eine bedenklichere Zögerung in der Bewegung, in der Krankheitsentwicklung ein. Eine gedrungene, gedankenvolle, jeder Figur auf das Trefflichste angepaßte Sprache verleiht dem Dialoge einen fesselnden, zuweilen prickelnden Reiz. Mit der unerbittlichen Schärfe der Charakteristik, mit der Bloßlegung der bürgerlichen Gesellschaft, mit dem Stich gegen alles Geistliche verbindet sich ein Freimuth der Rede, der vor keiner Kühnheit zurückschreckt. Ich glaube mich nicht zu täuschen, wenn ich die Anziehungskraft des Dramas nur halb dem dichterischen Talente des Verfassers zuschreibe; halb entspringt sie aus der Rücksichtslosigkeit, mit der hier die Hüllen von den Einrichtungen der Welt, wie sie ist, gezogen werden; es gelüstet in unserer sozialdemokratischen Zeit eben Viele, das entschleierte Bild von Sais zu sehen. Uebrigens wäre ich neugierig, den einstimmigen Verdammungsschrei zu hören, den dieses Drama, von der hohen Polizei anhebend und bei den Gründlingen des Parterres endend, von der Bühne fortfegen würde, wenn nun, wenn es von einem Deutschen und nicht von einem Ausländer geschrieben wäre.

Die Darstellung auf dem Residenz-Theater war eine treffliche, Regine (Frl. Schüle) hätte um einen Grad anmuthiger und spitzbübischer; Oswald (Hr. Wallner) phantastischer, abwesender, springender in seiner Laune sein können: aber ich wüßte im Augenblick in Berlin nur einen Schauspieler, Herrn Kainz, der dieser Rolle voll genügte. Aber sie brachten wenigstens keinen Mißklang in die Darstellung, und die Mäßigung des Hrn. Wallner in Spiel und Ausdruck milderte für meinen Geschmack, muß ich natürlich sagen das Widerliche; Andere mögen vielleicht gerade auf diese Ausmalung des Widerlichen erpicht gewesen sein. Eine Meisterleistung dagegen war die Darstellung der Frau Alving durch Frau Charlotte Frohn, Ton, Haltung, Aussehen und Bewegung angemessen, zugleich voll Würde und Energie, erschütternd im Ausdruck des Schmerzes, etwas von der Niobe der alten Sage, die aus der stolzesten Mutter zur bejammernswerthesten wird. Schicklich führten die Herren Würzburg (Tischler Engstrand) und Reicher (Pastor Manders) ihre Rollen aus. Die Einrichtung der Bühne, in Dekoration, Ausstattung und den drei Lichteffekten Regendämmerung, Feuerschein, Sonnenaufgang durch den Direktor Anno war der Dichtung stimmungsvoll angepaßt. Der Dichter und die Schauspieler sind nach jedem Akte wiederholt gerufen worden, nach dem ersten Akt von dem ganzen Publikum, nach dem zweiten und dritten von den Verehrern.

K. Fr.
Publisert 21. mars 2018 10:53 - Sist endret 21. mars 2018 10:54