Anonym anmelder i Norddeutsche Allgemeine Zeitung

Gespenster på Residenz-Theater Berlin anmeldt i Norddeutsche Allgemeine Zeitung i Berlin 11. januar 1887 (Nr. 15, 26. Jg.).

Die Gespenster,

ein Familiendrama in drei Aufzügen von Henrik Ibsen, aufgeführt im Residenz-Theater zu einer Wohlthätigkeits-Matinée am 9. Januar.

J.   Haben wir auch längst den Standpunkt Schillers verlassen, der in der Schaubühne eine Anstalt sah, in welcher sich «Vergnügen mit Unterricht gattet», hat die Moralität des Volkes auch manchen empfindlichen Stoß erlitten durch all den bunten, französischen Flitterkram an Possen, Operetten und Lustspielen, der sich seit dem Beginn des zweiten Kaiserreiches über die deutsche Bühne ergossen, so hat das Theater bisher doch immer und überall eine gewisse Grenzlinie des Erlaubten beobachtet; Stücke mit subversiven Tendenzen verbot die Polizei, solche mit Anschauungen, die den unserigen über Sitte und Moral schnurstracks entgegenliefen, wagte bisher kein Direktor zu bringen. Das Residenz-Theater, dessen Direktor Anno schon viele Beweise eines seinen Taktgefühls und eines durchgebildeten Geschmacks gegeben, hat sich leider verführen lassen, in einer am Sonntag stattgefundenen Matinée die Gespenster, ein Familiendrama in drei Aufzügen von dem norwegischen Dichter Henrik Ibsen zu bringen, welches das Konkubinat als das natürliche und gesunde Ergebniß der heutigen Zivilisation, als das Ideal hinstellt; dagegen in den Fundamenten des Staates, in der Ehe und der Familie nur verrottete Institutionen, die Zuchtstätte der Laster, die Ursache der geistigen Verkommenheit der heutigen Jugend erblickt. Aber nicht nur rüttelt Ibsen mit frevelnder Hand an den Grundlagen des Staates, auch unsere heiligsten Gefühle, die Kindes- und Geschwisterliebe, die selbst bei dem rohesten Menschen nie ganz sich verleugnen, tritt er mit Füßen: «was kann ich dafür, daß ich Dein Sohn bin?» läßt er Oswald zu seiner Mutter sagen; trotzdem Oswald erfahren, daß Regine seine Schwester, läßt der Dichter sie ihn dennoch begehren. Wenn auch anzunehmen, daß bei dem Armen der Wahnsinn schon ausgebrochen, sind und bleiben solche Ungeheuerlichkeiten doch immer ein Frevel des Dichters gegen die Gesellschaft. So weit es möglich ist, wollen wir unseren Leserkreis mit dem Inhalte des Ibsenschen Trauerspiels bekannt machen. Eine lange traurige Ehe hat Frau Helene Alving, Wittwe des Hauptmanns und Kammerherrn Alving, geführt. Ihr Mann war ein Wüstling der ärgsten Art, der nicht einmal das eigene Haus respektirte. Um das Gemüth ihres Sohnes Oswald frei zu erhalten von allen den bösen Eindrücken, die nothwendigerweise im Elternhause auf ihn einwirken mußten, hat sie ihn im siebenten Jahre ins Ausland geschickt. Nach langen Jahren kehrt er heim als Maler, der schon einen gewissen Ruf erlangt hat. Pastor Manders, der Freund ihres Mannes, der einst das arme gequälte Weib, als sie sich, von Verzweiflung gepackt, an seine Brust werfen wollte, auf den Weg der Pflicht, in das Haus des Gatten zurückgeführt hat, findet, daß der junge Mann aus der Fremde lockere Grundsätze mitgebracht habe. Sie allein trage die Schuld daran. Zwei Fehler habe sie im Leben begangen; einmal sei sie einst aus dem Hause des Gatten geflohen, und zum zweiten habe sie jedes Muttergefühl verleugnet, den Sohn dem Vater und dem Vaterhause entfremdet. Das Asyl für Kinder, das sie zum Andenken ihres Gatten erbaut, und das am nächsten Tage eröffnet werden solle, sühne lange nicht die Schuld, welche sie auf sich geladen. Da rafft Frau Alving sich auf und erzählt ihr eheliches Leben dem frommen Freunde, welcher von Ibsen allerdings mehr als geistig arm hingestellt wird, und, trotzdem er in Geldgeschäften recht bewandert ist, nicht eine kindliche, sondern eine kindische Unkenntniß der Welt verräth. Sie erzählt, was sie gelitten, wie sie Zeuge gewesen von der Annäherung ihres Gatten an eine Magd, wie die Magd ausgerufen: «Lassen Sie mich was wollen Sie?» Da ertönen ebenfalls aus dem Speisezimmer dieselben Worte. Es ist Regine, die Tochter jener Magd, und bei derselben ist ihr Sohn, ihr Oswald. Gespenster! ruft sie aus; und will damit andeuten, daß, wie der Vater, so der Sohn, wie die Mutter, so die Tochter, und daß die Laster sich auf die Kinder vererben. Wenn Pastor Manders nicht wäre, würde sie den Gedanken, Beide zu vereinen, nicht zu ungeheuerlich finden. Wie in der gefallsüchtigen, gefühllosen Regine nur die Laster sich vererbt haben, so liegt in Oswald neben dem Laster vom Vater her auch der Keim zum Wahnsinn. Er weiß es, daß er der Gehirnerweichung erliegen wird, deshalb hat er Gift gekauft, welches ihm seine Frau geben soll, sobald sein Geist sich für immer umnachtet. Regine will er heirathen, weil sie hübsch, verlockend und wie er bemerkt, leichtsinnig genug ist, um seinen Wunsch zur Zeit auszuführen. Beiden enthüllt die Frau Alving die Vergangenheit. Unter einer Fluth jedes sittliche Gefühl verletzender Anklagen verläßt Regine das Haus, um ihren angeblichen Vater, dem Tischler Engstrand, zu folgen und sich wahrscheinlich dem Laster zu ergeben, während Oswald der eigenen Mutter Vorwürfe macht und in Klagen ausbricht, daß ihm Regine genommen. Immer größer wird seine Erregtheit; immer ungestümer fordert er von der eigenen Mutter das Gelöbniß, ihn beim Wahnsinnsausbruch zu vergiften, und erlangt endlich, daß die geängstigte Frau seinem Wunsche zu willfahren verspricht. Die ungeheuren geistigen Aufregungen, in der er den Abend und die Nacht verlebt, haben das Fortschreiten der Krankheit beschleunigt. Der anbrechende Morgen findet Mutter und Sohn noch bei einander. Nach langen Regentagen geht die Sonne zum ersten Male wieder klar hinter den Bergen auf. Die Worte «Mutter, gieb mir die Sonne,» lallend hervorstoßend, sinkt Oswald zusammen. Schaudernd und verzweifelnd steht Frau Alving vor ihrem unglücklichen Sohne, nicht länger kann sie zweifeln, daß über ihn die Nacht des Wahnsinns hereingebrochen. In ängstlicher Hast sucht sie, in der Tasche Oswalds nach dem Gift, findet es, und noch zaudert sie, sie kämpft mit sich selbst da fällt der Vorhang und befreit uns von dem gräßlichen Anblick, von dem widerwärtigen Bilde.

Was wird die Mutter thun? Was wird aus Regine? Liefert der fromme Pastor Manders dem heuchlerischen Trunkenbolde Engstrand das Geld zur Errichtung eines Seemannsheims, in dem Abends getanzt wird? Das sind Fragen, die Ibsen, Gott sei Dank, unbeantwortet läßt.

Großartig, es ist dies nicht zu leugnen, ist in seiner Art das Drama, großartig sind die Charaktere gezeichnet, doch wie ein Verbrechen nie gutgeheißen werden kann, weil es genial ausgeführt ist, so wird ein Stück bei der feinfühlenden Minderzahl nie Anklang finden, seine Vorzüge werden vor dem Richterstuhl der Gebildeten in nichts zusammenfallen, wenn seine Tendenz, seine Handlung, die Grundsätze, welche der Dichter darin niederlegt, unsere Gefühle verletzen, uns abstoßen, uns widerwärtig berühren, wie dies in den «Gespenstern» der Fall ist. Es ist eine bekannte Thatsache, daß die Berserkerwuth nur im hohen Norden heimisch war, daß der Nordländer, wenn die Leidenschaft sich seiner bemächtigt, unzurechnungsfähiger und rasender wird als der Italiener, daß die Zahl der Wahnsinnigen im Süden zwar größer als im Norden, die Krankheit dafür aber hier schwerer auftritt als dort. Was die krankhafte Phantasie der Franzosen bis jetzt für die Bühne geleistet, ist Alles zusammen nicht so gemeingefährlich, wie dies eine Stück von Ibsen, dessen Gift durch die Druckerpresse über alle Lande verbreitet wird, wenn auch, was in diesem Falle gewiß zu billigen, die Bühnen demselben verschlossen oder nur unter einschränkenden Bedingungen zugänglich werden.

Das Drama wurde, wie die Regel im Residenz-Theater ist, vorzüglich aufgeführt. Die heroische Mutterliebe, die einzige lichtvolle Seite, welche das Stück bietet, wurde von Frau Frohn mit wärmster Empfindung, hoheitsvoll nach der einen, hingebend liebend nach der anderen, überall wahr und einfach, aber gerade dadurch desto wirksamer, wiedergegeben. Der über alle Maßen naive Pastor Manders fand in Herrn Reicher einen Darsteller, der es verstand, in dieser sehr schwierigen Rolle die scharfe Grenze des Möglichen so inne zu halten, daß er nie zur Heiterkeit Anlaß gab. Der fromme Mann, der das Asyl, welches am Abend abbrennt, nicht gegen Feuersgefahr versichert, weil es als ein gottgefälliges Werk unter dem Schutze des Höchsten steht, ist eine sehr verwendbare Figur. Wir sind überzeugt, daß, da Herrn Ibsen die deutschen Bühnen für sein Stück hoffentlich verschlossen bleiben werden, in Amerika die Feuerversicherungsgesellschaften dasselbe gern für hohes Geld erwerben werden, denn eine prächtigere Reklamefigur als der Pastor Manders ist für ihre Zwecke noch nicht gezeichnet worden. Herr Wallner verrieth von Anfang an das Leiden, an dem er zu Grunde geht, und wußte auch am Schluß durch weises Maßhalten den Widerwillen des Zuschauers gegen das gräßliche Schauspiel, das ihm geboten wurde, möglichst zu mildern. Fräulein Schuele traf recht glücklich den schnippischen, unartigen Ton der frivolen und raffinirten Regine und Herr Würzburg milderte dadurch, daß er die Rolle mehr lustspielartig auffaßte, den abstoßenden Eindruck, den sonst der scheinheilige, ekelhafte Trunkenbold Engstrand machen muß.

Während ein Theil des Publikums die ganze Vorstellung hindurch weder Hand noch Mund rührte und nur in den Zwischenakten gegen Bekannte vertraulich über den Widerwillen sich aussprach, den das Stück bei ihnen erregte, brach nach jedem Aktschluß von dem bedeutend größeren Theil ein frenetischer, nicht enden wollender Applaus aus, und Herr Ibsen wurde in jeder Pause unzählige Male gerufen. Es zeugt dies von einer recht bedauerlichen Geschmacksverirrung, so mancherlei mildernde Umstände auch für die dem Fremden erwiesenen Ehren geltend gemacht werden mögen.

Publisert 21. mars 2018 11:06 - Sist endret 21. mars 2018 11:07