Philipp Mahn

Gespenster på Deutsches Theater og Lessing-Theater i Berlin (premiere samme dag) anmeldt av Philipp Mahn i Königlich privilegirte Berlinische Zeitung (Vossische Zeitung) 30. november 1894.

Theater und Musik.

Gespenster.

Deutsches Theater. Dienstag, 27. November. Zum ersten Male: «Gespenster». Ein Familiendrama in drei Aufzügen von Henrik Ibsen. Autorisirte Uebersetzung.

Lessingtheater. Donnerstag, 29. November. Zum zweiten Male: dasselbe. Uebersetzt von E. Brausewetter.

Nach der ziemlich verunglückten Gespensteraufführung der Gesellschaft des Herrn Key im Sommer dieses Jahres und nach der auf ein engeres Publikum beschränkten Antoines ging am Dienstag zum ersten Male öffentlich, und an zwei Theatern zugleich, das Ibsensche Familiendrama in Szene. Lange hat die Zensur gebraucht, bevor sie mit diesem Stück fertig wurde, das vielleicht weniger von sich reden gemacht hätte, wenn ihm nicht eine so starke Reaktion im Wege gestanden hätte. Die Literatur hat früher mit ihm abgeschlossen; heute ist es kaum noch wahrscheinlich, daß die in diesem Stück so energisch eingehaltene pathologische Richtung einem jungen Künstler gefährlich werde, sie kann als überwunden angesehen werden. Das Verhalten des Publikums entsprach im allgemeinen dieser veränderten Lage der Dinge. Nur vereinzelt machte sich, am Schlusse etwas häufiger, ein gequältes Zuschauerherz durch Zischen Luft. Man stand dem Stück im Großen und Ganzen sine ira et studio wie einem historisch gewordenen gegenüber, wie einem, das seinen Lohn dahin hat, das niemanden mehr reizen kann, sich in die Unkosten erster Hitze und erster Kämpfe zu stürzen.

Von den beiden Vorstellungen war die des Deutschen Theaters eine fast vollendete. Es arbeitete alles vortrefflich ineinander, die Feinheiten des Stücks kamen auch im Zusammenspiel ungeschmälert zum Ausdruck, von kleinen unvermeidlichen Störungen abgesehen, vollzog sich das Ganze in einem lebhaften Tempo, das über die langwierigen Sprechereien namentlich des zweiten Aktes glücklich hinweghalf und sich von der Schläfrigkeit im Lessing-Theater vortheilhaft unterschied. Man spielte den unverfälschten Ibsen, man spielte wirklich «Gespenster», so sehr, daß ich um keinen Preis sie zum zweiten Mal in dieser Aufführung sehen möchte und im Interesse meines Wohlbefindens mich freute, im Lessing-Theater einer abgeschwächteren Auffassung zu begegnen. Vor allem natürlich in der Figur des Oswald. Herr Sommerstorff war den Nerven des Menschen sympathischer, Herr Rittner dagegen stand künstlerisch höher. Ich finde, wenn einmal eine Gespensteraufführung statt hat, so hat der Künstler einfach die Konsequenz dieser Thatsache zu ziehen und den Oswald des Stückes, nicht irgend einen der Schonungsbedürftigkeit und Schwäche angepaßten zu spielen. Jedes Paktiren muß hier zur Gezwungenheit, zur künstlerischen Unzulänglichkeit führen. Herr Sommerstorff wollte offenbar mildern, abschwächen und er erreichte doch nur, daß gewissermaßen zwei Auffassungen neben einander herliefen, daß er häufig aus der Intuition des Kranken herausfiel und sich dann mühsam wieder in sie zurückfinden mußte. Gemildert werden konnte nur etwa in der Weise, wie Rittner das Blödsinnigwerden, die Gesichtsverzerrung des Schlusses im Profil, nicht en face gab. So wie das im Verein mit dem leichten Lallen, dem Blick in die Sonne und dem plötzlichen Umknicken des Kopfes zu Stande kam, wirkte es nicht nur durchaus echt, sondern auch weit versöhnlicher als das blödsinnige Hineinstarren ins Publikum aus erschlafften Zügen. Im Anfang spielte er vielleicht zu sehr auf den Kranken hinaus. Hier, wo seine nächste Umgebung noch nichts von seiner Krankheit merkt, mußte er gesunder scheinen. Aber in allem, was er sagte, lag ein Ton von Ehrlichkeit und Innerlichkeit, der immer jenen ungemeinen Künstlerernst erkennen ließ, der aus jedem Werk, aus jeder Stirnfalte ein Studium macht.

Noch einen Vorzug hatte die Darstellung des Herrn Rittner: sie ließ besonders deutlich erkennen, wie dichterisch völlig werthlos die ganze Oswaldepisode ist. Je klarer dieser junge Mensch als erblich belastet erschien und je vollständiger man sich sein Handeln, sein Sein aus rein physiologischen Gegebenheiten zu erklären hatte, je naturgetreuer folglich die wächserne Gesichtsfarbe, die grünunterlaufenen Augenränder, der hoffnungslose, lebensunwillige Blick und das Röcheln und Schreien den physischen Zersetzungsprozeß malte, desto entschiedener auch stellte sich der Zuschauer vor die Frage: was habe ich denn eigentlich mit diesem Menschen zu schaffen, ich, der ich Seelen- und keine Körperschmerzen sehen will, der ich eben deshalb ins Theater und nicht in eine Klinik gegangen bin? Ich verlange vom Dichter, daß er vor allem mit meiner Liebe, mit meinem Haß und ihren tausend Spielarten arbeitet, aber hier . . . ? Ich bedauere ja den armen Menschen aufrichtig, aber sein Thun und Handeln ist mir völlig gleichgiltig, da er ja überhaupt nicht in der Lage ist, sich psychisch zu bestimmen, da er ja, sobald ich ihn für irgend etwas verantwortlich machen will, mir mit Recht zu entgegnen hat: «Bedaure sehr, ich bin pathologisch.»

In der That, Grauen und Entsetzen sind gar nicht einmal nothwendig die Empfindungen, in die der Zuschauer sich der Oswaldgestalt gegenüber versetzt fühlt. Bei Damen wohl; aber bei uns Männern unserer Zeit, die wir alle mehr oder minder naturwissenschaftlich-medizinisch angehaucht sind, wird sich mehr eine gewisse Gleichgiltigkeit einstellen, eine kühle Beobachterstimmung, die nur von der Krankheit, nicht von dem Menschen beschäftigt wird, bestenfalls sich zu dem Vorsatz aufzuschwingen vermag, nächstens wirklich einmal im Irrenhause nachzusehen, ob alles «stimmt».

Denn als das, wofür diese Krankengeschichte mit Vorliebe ausgegeben wird, als ein Vehikel zur Charakterentwicklung der Frau Alving, dieser eigentlichen Seele des Stücks, können wir sie durchaus nicht ansehen. Gewollt haben wird Ibsen wohl etwas Aehnliches. Aber dazu hat einmal jene Episode eine viel zu große Selbständigkeit in der Komposition des Ganzen erlangt und dann fehlt ihr dazu auch die innere, nothwendige Beziehung zur Charakterentfaltung der Frau Alving. Was diese schließlich von der «Lebensfreude» im allgemeinen erkennt, die freiere Auffassung, zu der sie über das «ruchlose» Treiben ihres Mannes durchdringt sowie all das andere hat mit der Gehirnerweichung Oswalds durchaus nichts zu thun; zu dem einzigen Schritte aber, der wenigstens einigermaßen die Episode als ausschlaggebendes Moment in die Reihe der Prüfungen eingereiht hätte, die Frau Alving zu ihrer weiteren Weltanschauung emporerziehen, zu diesem Schritte hat der Dichter sich nicht entschließen können. Für diese aus Größe und Verranntheit wunderbar gemischte Frau, der es fast schon scheint, als ob Gesetz und Ordnung an allem Unheil der Welt schuld seien, die in dem Sündenleben ihres Mannes nur noch berechtigte Lebenslust, die große Sonnensehnsucht einer leichtbeschwingten Seele erkennen will, für diese Frau würde es innerhalb dieses Stückes gewissermaßen einen Gipfel, eine letzte Steigerung bedeuten, wenn sie sich entschlösse, mit Verleugnung all ihrer Menschlichkeit dem unheilbar irrsinnig gewordenen Sohne die verlangten Morphiumpulver zu reichen, ihn von einem Leben befreien, das gräßlicher als der gräßlichste Tod. Ibsen wäre so gewissermaßen mehr Ibsen, die Gespenster mehr Gespenster gewesen. Aber diese Möglichkeit wird zwar hingestellt, dann aber unentschieden bei Seite geworfen. Wir werden von Frau Alving mit einem «Nein» entlassen, das weder ein Nein noch ein Ja ist, dem eben so gut, wie ihm ein Ja voraufging, ein solches folgen kann. Der Zuschauer fühlt sich hier am Ende völlig als der Gefoppte, er fühlt deutlich, daß ihm hier wie an anderen Stellen des Stückes zugemuthet wird, etwas für einen unergründlichen Tiefsinn zu halten, was nichts als die Unklarheit, die von Koketterie nicht ganz freie Nebelei des Dichters ist. Ohne Zweifel: So wie die Oswaldepisode im Stück dasteht, trägt sie absolut nichts zu seinem geistigen Gehalte bei; sie ist nichts als eine nutz- und zwecklose Peinigung der Mutter und der Zuschauer; Herrn Rittner aber konnte man nur dankbar sein, wenn er durch seine überzeugende Verkörperlichung der Rolle so wesentlich zu einer zweifelsfreien Interpretation des Stückes beiträgt.

Frau Alving wurde im Lessing-Theater durch Frl. Butze dargestellt. Ihr gelangen besonders die Mollakkorde, die Mütterlichkeit, wie das echt Frauenhafte in ihren Irrungen, Wirrungen vortrefflich: die geistig hoch bedeutende Frau kam freilich darüber zu kurz. Frl. Bertens traf beides. Im Anfang schien sie vielleicht zu sehr von Gedankens Blässe angeflogen, aber mit dem Stück wuchs sie in Empfindung und geistiger Ueberlegenheit mehr und mehr zu einem wahrhaft grandiosen Frauenbilde empor. Wir haben von Frl. Bertens so Schönes, so Großartiges noch nicht gesehen. Gegen die Einförmigkeit des Pastor Manders von Hrn. Nollet stach sehr vortheilhaft die lebensvolle Mannichfaltigkeit in der Gestaltung des Herrn Reicher ab. Nur zuweilen verfiel er zu sehr ins Pastoral-Salbungsvolle, das er sonst sehr passend von Zeit zu Zeit in den gewöhnlichen Prediger-Unterhaltungston mit hinüberschlüpfen ließ. Hier und da begegnete auch wohl ein allzu feiner, allzu berechneter Schläger, der wohl den sehr klugen Herrn Reicher, aber nicht mehr das große Kind im Pastor Manders erkennen ließ. Frl. Reisenhofer als Regine war sehr wonnesam anzuschauen. Sie trug ein höchst verrätherisches Kostüm, mit dem man freilich in einem Hause, wo junge Söhne sind, kaum solche Schäker wird umherlaufen lassen. Ihrer Darstellung fehlte das Naive, das trotz aller egoistischen Schlauheit Impulsiv-Unbewußte, das Frau Sorma, die nur etwas zu sehr ins Zarte und Niedliche gerieth, ihrer Gestalt so reichlich zu geben wußte. Der Tischler Engstrand des Herrn Horn war eitel äußerliche Theaterei, Herr Müller aber schuf hier eins seiner fein ausgemalten Kabinettsstücke, dem nur etwas zu viel Wohlgesetztheit anhaftete. So weit man aus dem bloßen Anhören urtheilen konnte, schien das jedoch an einer zu glatten Uebersetzung zu liegen.

P. Mn.
Publisert 21. mars 2018 13:10 - Sist endret 21. mars 2018 13:11