Theodor Fontane

Kommentar av Theodor Fontane i anledning oppsetningen av Gespenster på Residenz-Theater Berlin i Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen (Vossische Zeitung) 13. januar 1887.

Noch einmal Ibsen und seine «Gespenster».

P. S. hat in der Montag-Abendnummer liebevoll eingehend über die Sonntagsaufführung von Ibsens «Gespenstern» berichtet und die Redaktion ihrerseits hat in aller Form in einer Schlußnote Veranlassung genommen, ihre Nicht-Uebereinstimmung mit dem Referat ihres Referenten auszusprechen. Es ist damit eigentlich Alles geschehen, was geschehen konnte: P. S. ist dem eminenten Talente des Dichters, die Redaktion der im Publikum vorherrschenden Anschauung gerecht geworden, und so hat es denn in der That sein Mißliches (weil Anspruchsvolles), nachträglich noch als dritter in diesen Meinungsstreit einzutreten. Die hervorragende Bedeutung Ibsens und seines Werkes aber, über welch letzteres ein Wort zu sagen, es jeden Mann von Fach drängen muß, läßt mich auf Indemnität bei den Lesern der Zeitung rechnen.

Was will Ibsen? Es sind zwei Sätze, die, wenn ich sein Stück recht verstanden habe, von ihm wie Thesen an seine neue Wittenberger Schloßkirche geschlagen werden. Erste These: Wer sich verheirathen will, heirathe nach Neigung, aber nicht nach Geld. Zweite These: Wer sich dennoch nach Geld verheirathet hat und seines Irrthums gewahr wird, ja wohl gar gewahr wird, sich an einen Träger äußerster Libertinage gekettet zu haben, beeile sich, seinen faux pas wieder gut zu machen, und wende sich, sobald ihm die Gelegenheit dazu wird, von dem Gegenstande seiner Mißverbindung ab und dem Gegenstande seiner Liebe zu. Bleiben diese Thesen unerfüllt, so haben wir eine hingeschleppte, jedem Glück und jeder Sittlichkeit hohnsprechende Ehe, darin im Laufe der Jahre nichts zu finden ist als Lüge, Degout und Cretinschaft der Kinder. Physisches und geistiges Elend werden geboren, Schwächlinge, Jammerlappen, Imbeciles.

So die Thesen, die das Ibsensche Drama, dessen Kunst und Technik ich rückhaltslos bewundere, zur Anschauung bringt.

Sind diese Thesen richtig?

Ich halte sie für falsch.

So lange die Welt steht oder so lange wir Aufzeichnungen haben über das Gebahren der Menschen in ihr, ist immer nach den «Verhältnissen» und nur sehr ausnahmsweise nach Liebe geheirathet worden. Die vorchristliche Zeit kannte den Luxus des Nach-Liebe-Heirathens kaum, jedenfalls war es Ausnahme, nicht Regel. Jacob, der Rahel liebte, begann, wohl oder übel, mit Lea; Ruben, Simeon, Levi, Juda und zwei andere noch (schon die Zahl imponirt) wurden ihm aus dieser vergleichsweisen Gleichgiltigkeits-Ehe geboren, Hervorbringungen, die hinter Benjamin und selbst hinter der ägyptischen Excellenz Joseph in nichts, am wenigsten in Kraft und Gesundheit, zurückblieben. Ist anzunehmen, daß die Spartaner nach Liebe geheirathet haben? Vermählen sich die Fürsten, in der großen Mehrzahl der Fälle, nach Liebe? Heirathet man in den reichen Bauerndörfern aus purer Passion? Umgekehrt, alles ist Pakt und Uebereinkommen. «Die Liebe findet sich» und wenn sie sich nicht findet, so schadet es nicht. Die Herrnhuter schlossen, bis vor wenigen Jahrzehnten, ihre Ehen nach dem Loos, und nirgends, so viel ich weiß, ist Degenerirung die Folge davon gewesen. Im Gegentheil, die Herrnhuter sind nicht nur ehrenfeste, sondern auch feste, gesunde Leute. Beaconsfield, befragt weshalb er nach Geld geheirathet habe, gab zur Antwort: «um Ruh und Friedens, also um Glückes willen,» denn alle «aus Liebe» geschlossenen Ehen habe er mit Thätlichkeiten oder Untreue enden sehn. Das ist scherzhaft zugespitzt aber sehr ernsthaft gemeint, und es verlohnt sich wohl, diesen Satz des berühmten englischen Staatsmanns dem Satze des berühmten norwegischen Dichters gegenüber zu stellen. Hie Welf-Beaconsfield, hie Waibling-lbsen. Wenn ich mich entscheiden soll, bin ich, in diesem Fall, ein entschiedener Welf. Unter allen Umständen aber bleibt es mein Credo, daß, wenn von Uranfang an, statt aus Konvenienz und Vortheils-Erwägung, lediglich aus Liebe geheirathet wäre, der Weltbestand um kein Haarbreit besser sein würde, als er ist.

Aber wie steht es mit These II.? Ist Ehescheidung, Uebertritt aus dem einen in das andre Lager, ein für allemal unabweisliche Pflicht, wenn sich im Weiteren auch noch die Zusatzbemerkung erfüllt und in der Ehe die Wahrnehmung gemacht wird, «sich an einen Träger äußerster Libertinage», ja geradezu an Laster und Sünde gekettet zu haben?

Über diese These II. ließe sich streiten, wenn dieser Streit nicht längst durch unser Ehescheidungsgesetz gelöst wäre. Wo Schuld, gleichviel auf welcher Seite, nachgewiesen wird, wird dem Verlangen einer Trennung nirgends widerstritten, wenigstens nicht innerhalb der protestantischen Welt. Weder das Gesetz noch die Sitte behindern das siegreiche Durchkämpfen einer freien und wohlmotivirten Entschließung. Und so scheint es denn, daß wir in den Ibsenschen «Gespenstern» nicht einen Ansturm gegen thörichte, vom Gesetz errichtete Schranken, sondern einfach einen eindringlichen Appell an das Individuum haben, an jeden Einzelnen in der Zuhörerschaft, dem an dem Beispiele dieser einst so schönen Kammerherrin Alving gezeigt werden soll, wie ihm, dem Einzelnen, nicht blos das Recht, sondern in gleichem Falle die Pflicht der Losreißung obliegt, eine Pflicht, ohne deren Erfüllung das physische und moralische Verderben mit unerbittlicher Naturnothwendigkeit über ihn und in der millionenfachen Vielheit der Fälle über die Menschheit hereinbrechen muß.

Habe ich These II. hierin richtig definirt, ist Trennung der Ehe, wo Laster und Sünde vorliegen, nicht blos persönliches Recht, sondern unabweisliche Menschenpflicht, so kann, meines Erachtens, auch These II. nicht bestehen. Das Hin und Her vom einen zum andern, das Lieben auf Abbruch, die souveräne Machtvollkommenheit ewig wechselnder Neigungen über das Stabile der Pflicht, über das Dauernde des Vertrages, all das würde die Welt in ein unendliches Wirrsal stürzen und eine Verschlimmbesserung ohne Gleichen sein. Und wenn diesem Satze, der, wie zugestanden werden mag, über bis dahin Unerprobtes spricht, die Beweiskraft fehlen sollte, so läßt sich doch, retrospektiv und historisch, mit aller Bestimmtheit der Beweis führen, daß trotz alles Sünden-Elends, das uns durch die Jahrhunderte hin begleitet und sich selbstverständlich auch in unsrem intimsten Leben in hundertgestaltiger Häßlichkeit bethätigt hat, daß trotz all dieses Elends, trotz entnervter Männer und entarteter Frauen, trotz Schein, Komödie, Lüge, die Welt nicht rückwärts sondern vorwärts gekommen ist. Wie war, um nur die letzten Jahrhunderte zu befragen, England unter den letzten Stuarts, wie war Frankreich unter der Regentschaft? Der Wechsel, der sich seitdem vollzogen hat, verzeichnet einen moralischen Fortschritt, nicht einen Niedergang. Alle die Millionen Ehen, die, von damals bis heute, auf nichts anderes als auf Gold und Glanz hin geschlossen wurden, alle die Wüstlinge, die von damals bis heute die Hoffnungen junger Herzen getäuscht und zur Elends- und Widerlichkeitsgeschichte der Menschheit ihr ehrlich Theil beigetragen haben, alle diese Geld-Ehen, alle diese trauermäßig auf Halbmast herabgelassenen Lebenskräfte haben weder die Verdummung der Generationen, noch ihre physisch-moralische Versumpfung zur Folge gehabt. Wo war Entartung, als die Altenfritz-Grenadiere die Höhen bei Prag stürmten, wo war Entartung, als die pommersche Landwehr die Marine-Bataillone bei Möckern niederschlug, wo war Entartung, als die Halberstädter Kürassiere die französischen Carrés durchbrachen? Ein frischer Zug geht durch die Welt, gerade auch jetzt wieder, und ein moderner Mensch sein, heißt ein Mensch sein voll Spannkraft und Nerv (jedenfalls mehr noch voll Nerv als voll Nerven), und wenn es sicherlich nicht wohlgethan wäre, den Blick gegen unsere Gebrechen und Schwachheit verschließen zu wollen, so verbietet es sich doch mehr noch, all das, was uns von Schuld und Sünde durchs Leben hin begleitet, unter ein vergrößerndes Zerrglas zu thun. All das, womit wir in diesen «Gespenstern» geängstigt und zum Wechsel unserer sittlichen Anschauungen gedrängt werden sollen, ist uralten Datums. Sardanapale, kleine und große, historische und private, sind, durch alle Jahrhunderte hin, auf Thron und Lotterbett aufeinander gefolgt, ohne daß es die Menschheit sonderlich geschädigt hätte, sie hat es überdauert und wird es weiter überdauern. Alles ruht in einer ewigen, immer neue Lebensströme spendenden Erhaltungshand, der es ein Leichtes ist, die Sünden eines norwegischen Kammerherrn und noch vieler anderen Kammerherrn, aus ihrer Kraft- und Gnadenfülle wieder wett zu machen. Das alles ist nur der schwarze Fleck am Apfel, der in der Weltenwage nicht aufwiegt. Unsere Zustände sind ein historisch Gewordenes, die wir als solche zu respektiren haben. Man modle sie, wo sie der Modlung bedürfen, aber man stülpe sie nicht um. Die größte aller Revolutionen würde es sein, wenn die Welt, wie Ibsens Evangelium es predigt, übereinkäme, an Stelle der alten, nur scheinbar prosaischen Ordnungsmächte die freie Herzensbestimmung zu setzen. Das wäre der Anfang vom Ende. Denn so groß und stark das menschliche Herz ist, eins ist noch größer: seine Gebrechlichkeit und seine wetterwendische Schwäche.

Th. F.
Publisert 21. mars 2018 10:49 - Sist endret 21. mars 2018 10:50