Anonym kommentar i Wiener Abendpost

Gespenster omtalt i Wiener Abendpost. Beilage zur Wiener Zeitung 22. november 1890 (Nr. 269) i anledning oppsetningen på Deutsches Volkstheater i Wien.

Theater.

Deutsches Volkstheater: «Gespenster», Familiendrama in drei Aufzügen von Henrik Ibsen. Zum ersten Male aufgeführt am 21. November.

** Es steht geschrieben: «Die Sünden der Väter werden an den Kindern heimgesucht.» Dieses Thema hat Ibsen in seinem Stücke «Gespenster» ausgearbeitet. Es handelt sich um Väter überhaupt und um norwegische insbesondere. Der homo sapiens ist bei Ibsen immer auch scandinavicus. Wie Defregger stets seine lachende Tirolerin, so zeichnet Ibsen immer seinen nachdenkenden Norweger. Der Dichter hat sich aus seiner Heimat verbannt, aber diese nicht aus sich. Er flieht sie, aber er liebt sie. Warum hat er die Fjords verlassen und schreibt in München seine Klippenstücke? Der ewige Regen und die endlose Predigt haben ihn vertrieben. Er hat in der Heimat die Lebensfreudigkeit entbehrt.

Der Vater, dessen Sünde an dem Sohne heimgesucht wird, hieß Alving. «Es war wie Frühlingswetter, wenn man ihn nur ansah. Und dann diese unbändige Kraft, diese Lebhaftigkeit in ihm! Und dies lebensfrohe Kind mußte hier in einer halbgroßen Stadt umhergehen, die keine erhebende Freude, sondern nur Vergnügungen zu bieten vermag. Hier mußte er bleiben, ohne einen Lebenszweck zu haben; er hatte nur ein Amt. Er sah nirgends eine Arbeit, der er sich mit all seinen Kräften hätte widmen können, er hatte nur eine Beschäftigung. Er besaß keinen Kameraden, der im Stande gewesen wäre, mit ihm zu empfinden, was Lebensfreudigkeit ist, er hatte nur Zechbrüder, er kannte nur Müssiggänger.»

So schildert ihn Alvings Wittwe, die sonst nicht gut auf ihn zu sprechen ist. Er war also ein Opfer der physischen und moralischen Atmosphäre seiner Umgebung. Er sündigte. Die Mutter fürchtet für den Sohn, sucht das geliebte Kind zu retten und sendet es nach dem Süden, nach Paris. Sie selbst liest, denkt, grübelt, arbeitet an sich ohne Unterlaß. «Ich erhalte durch die Lectüre gleichsam Erklärung und Bekräftigung dessen, was ich oft selbst gedacht habe. Denn das ist das Seltsame, es steht eigentlich durchaus nichts Neues in diesen Büchern; es steht nichts Anderes darin als das, was die meisten Menschen selbst gedacht und geglaubt haben. Es ist nur, daß die meisten Menschen sich nicht klar darüber werden oder nichts davon wissen wollen. Ich glaube beinahe, wir alle sind Gespenster. Es ist nicht allein das, was wir von Vater und Mutter geerbt haben, das in uns umgeht. Es sind allerhand alte, todte Ansichten. Es lebt nicht in uns; aber es steckt in uns, und wir können es nicht los werden. Wenn ich nur eine Zeitung in die Hand nehme, um daraus zu lesen, so ists mir schon, als sähe ich die Gespenster zwischen den Zeilen umherschleichen. Im ganzen Lande müssen Gespenster leben. Mir ists, als müßten sie so dicht sein wie der Sand am Meere. Und dann sind wir alle mit einander ja so lichtscheu.»

Der Sohn kommt zurück, gebrochen, todesmatt: «Dieses ununterbrochene Regenwetter obendrein! Woche auf Woche kann es anhalten; ganze Monate. Niemals einen Sonnenstrahl zu sehen! Ich kann mich nicht erinnern, hier in der Heimat jemals Sonnenschein gesehen zu haben.»

Er gesteht der Mutter: «Ich befragte in Paris einen Arzt. Er sagte: Schon seit Ihrer Geburt haben Sie diese wurmstichige Stelle; ja, er gebrauchte grade den Ausdruck «vermoulu»

Frau Alving (gespannt): «Was meinte er damit?»

Oswald: «Auch ich verstand ihn anfangs nicht und bat ihn um eine nähere Erklärung. Und da sagte der alte Cyniker (ballt die Faust) Ah !»

Frau Alving: «Was sagte er?»

Oswald: «Er sagte: Die Sünden der Väter werden an den Kindern heimgesucht.»

Frau Alving (erhebt sich langsam): «Die Sünden der Väter! «

Oswald: «Ich hätte ihn beinahe zu Boden geschlagen «

Frau Alving (geht durch das Zimmer): «Die Sünden der Väter «

Nun der blutleere junge Alving wird am Schlusse des Stückes gehirnkrank und ruft leise, unaufhörlich: «Die Sonne die Sonne!»

Wo ist Norwegens Mitternachtssonne, die Sonne, die wochenlang nie untergeht? Um diese Sonne zu sehen, reisen Tausende nach dem Norden, und bei ihrem Scheine hält Björnstjerne Björnson frei und unangefochten recht freisinnige Reden, die er im Lichte des Südens kaum halten dürfte. Der Dichter verallgemeinert und übertreibt eben immer, das bringt sein Beruf mit sich und die Form des Werkes, das er schafft. Anziehen oder abstoßen, welchen dieser zwei Wege die Dichter betreten, das unterscheidet sie. Der Eine strebt Auferbauung an, der Andere Abschreckung; der Eine will erheben, erfreuen, der Andere erniedrigen, entsetzen. Bessern aber wollen Beide. Nun Ibsen erschreckt, entsetzt oft, man braucht mit ihm nicht gleichen Weg zu gehen; aber keiner seiner Gegner hat so gute Argumente gegen die eine oder andere Lebensauffassung vorgebracht, Keiner derselben so tief und so vornehm gedacht und geschrieben, das für und gegen einander so geistvoll gegenübergestellt als Ibsen selbst durch den Mund seiner Gestalten.

Ibsen ist nicht sonnig; aber es fällt uns schwer, diesem Genie gegenüber ein Wort zu gebrauchen, das nicht respectvoll wäre. Man braucht die neue Gährung im Theater nicht mitzumachen, wer aber Ibsens Werke auf sich wirken läßt, muß zugeben, daß sie den ganzen Menschen packen und durchrütteln. Sie werden Vielen nicht gefallen, Alle aber geistig beschäftigen. Wir wollten, es würde endlich gegen den auf der Bühne Fleisch gewordenen Pessimismus mit Werken gekämpft und nicht immer nur mit Worten. Mit Witzen kommt man über Ibsen nicht hinweg, mit Spielerei des Geistes oder Spiel mit Worten. Diese apokalyptischen Reiter des Theaters verkünden aber den Untergang der dramatischen Kunst! Wir überlassen diese Phrase den Gegnern der Ibsenschen Kunst; helfen wird auch sie nicht. Der Dichter, welcher Ibsen durch größeres Talent und Geschick verdrängen wird, der soll hoch gepriesen werden.

Jedes Stück Ibsens arbeitet wochenlang in dem Zuschauer des einen Abends. Man wird selbst ganz vermoulu und glaubt des Nachts das Picken des Holzwurmes zu hören. Man denkt und denkt über Ibsen und seine Kunst und kann den Magier nicht los werden. Man spricht aus dem Schlafe, abgerissene Sätze: «Alle neuen naturwissenschaftlichen und philosophischen Ideen von Schopenhauer bis Darwin hat Ibsen auf das Theater gebracht. Jetzt werden Kochs Lungenkranke an die Reihe kommen! lispelt der bleiche privat docirende Pastor. Und der Tertiär-Mensch dazu! grinst ein Cyniker. Man staunt den Mann Ibsen an, geht aber mit ihm nicht um. Lieber mit ewiger Blindheit geschlagen sein, als die Welt in diesem Lichte zu sehen! Es ist etwas wie das jüngste Gericht, das mit Ibsen hereinbricht. Der Nachtsturm dreht den Hahn auf dem Dache, wirft die Ziegel herab, reißt an den Fenstern, rüttelt die Thüren, schlägt das Hausthor zu und nadelscharfe, eisige Zugluft pfeift durch die Schlüssellöcher. Der Chinese adelt die Väter, Ibsen insamirt sie. Arme Eltern! Wie auf Euch jetzt von allen Seiten losgedroschen wird; man muß sich fast schämen, Kinder in die Welt gesetzt zu haben. Jeder Lump wird bald mit Schadenfreude sagen: geschieht meinem Vater schon recht, warum hat er mir das Leben gegeben! Gottähnlichkeit Thiergleichheit.»

So arbeiten die Ansichten gegen einander. Eines steht: Freude am Leben, Freude an der Kunst, gewinnt man nicht bei Ibsen. Kein Dichter, ein Soldat, der deutsche Kanzler Herr von Caprivi hat vor Kurzem gesagt: «Der Deutsche bedarf des Idealismus zu seiner Existenz.» Wir möchten uns erlauben hinzuzufügen: Nicht nur der Deutsche, der Mensch überhaupt.

Publisert 21. mars 2018 13:48 - Sist endret 13. sep. 2018 11:39