Philipp Berges

Hedda Gabler på Carl-Schultze-Theater i Hamburg (gjestespill ved Dr. Carl Heines Ibsen-Theater) anmeldt av Philipp Berges i Hamburger Fremden-Blatt 13. april 1898.

Gastspiel des Ibsen-Theaters.

(«Hedda Gabler».)

Lichtenberg sagt: «Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es gibt einen hohlen Klang, so ist nicht immer das Buch daran schuld .» Das ist wahr und ich will den Fall sehr gern auf Ibsens «Hedda Gabler» und diejenigen Recensenten anwenden, die während der sieben Jahre, die Hedda nun existirt, immer noch nicht klug aus ihr geworden sind. Anders zu denken, wäre in dieser Zeit der Ibsen-Heiligsprechung eine arge und unverzeihliche Ketzerei und mit Recht würde das dreimal weise Publicum den Zeigefinger an die Nase legen und also sprechen: «Seht doch, wie der kleine Criticus sich an den großen Ibsen heranwagt, er, der längst vergessen und verschollen sein wird, wenn man den nordischen Titan erst zu verstehen beginnen wird.» Und es ist wahr, auch in solcherlei Rede läge viel Richtiges. Allein auf das Schauspiel «Hedda Gabler» im Besonderen läßt sie sich doch nicht ganz anwenden, denn von allen Ibsenschen Stücken ist Dies wirklich das schwächste und ungereimteste und vor Allem ist es das undramatischste. Dies ist der Grund, weshalb «Hedda Gabler» so wenig aufgeführt wird und vielleicht war es auch der Grund, weshalb das Ibsen-Theater dieses Stück gerade für seine erste Abendvorstellung wählte. Wie vorauszusehen war, ergriffen die literarischen Kreise Hamburgs die Gelegenheit, dieses seltsame Stück einmal zu sehen, und die Gesellschaft sah in Folge dessen ein volles Haus. Viele mögen mit der stillen Hoffnung ins Theater gegangen sein, daß ihnen von der Bühne herab eine Offenbarung zutheil, daß ihnen das Verständniß für Hedda Gabler nun erst geöffnet werde, und nicht wenige werden statt dessen die Ueberzeugung mitgenommen haben, daß dem großen Nordländer mit der Aufführung des widerspruchsvollen und sogar voll technischer Mängel steckenden Stückes durchaus kein Gefallen geschieht. Das Verständniß wird durch die Darstellung nicht gehoben, es scheint fast, als ob nur die Mängel des Stückes in heiteres Licht gerückt würden. Zwar ist Dies durchaus nicht die Schuld der Darsteller, von denen ich noch nicht spreche. Viele Ibsenschen Stücke, wie «Rosmersholm», «Nora», «Frau vom Meer», lassen dem Denkenden einen unauflöslichen Rest übrig, ein Gewirr dunkler Widersprüche, mit denen Jeder sich abfinden muß, so gut er kann. Symbolisches und hart Körperliches kreuzen einander unaufhörlich und vermögen sich nicht ganz zu durchdringen. In «Hedda Gabler» ist Das, was als unverständlich übrig bleibt, dieser unauflösliche Rest, eben ganz besonders groß. Wer sich übrigens mit dem vollen Verständniß sämmtlicher Dramen Ibsens brüsten kann, sollte sofort Patent anmelden.

Ein geistvoller Beurtheiler, Leo Berg, hat versucht, das Lebenswerk Ibsens dem Sinne und geistigen Inhalte nach, quasi in eine Nußschale zu pressen. Er sagt: «Der Sinn der Ibsenschen Dichtung ist der höhere Mensch, das moderne Individuum, der Königsgedanke der Zukunft der Uebermensch!« Und hier ist auch vorläufig der einzige Schlüssel zur Erschließung der «Hedda Gabler». Ibsen zeichnet den weiblichen Uebermenschen, das Ueberweib, und nicht ohne Grund, nicht zufällig, wahrhaftig nicht aus Unvermögen ist er auf halbem Wege stecken geblieben. Wie Alles, Fabel und Menschen, in Ibsens Gesellschaftsdramen Symbole der Zeitbewegungen, Bilder moderner Seelenwallungen sind, so verkörpert die Hedda das dunkle Ringen der Frauenseele nach Macht, nach weitester Individualität, nach Größe und Freiheit. Allein sie greift noch überall fehl wie eine Traumwandelnde wie eine solche wird sie auch von visionären Wahnvorstellungen verfolgt und statt des zielbewußten, brutal-rücksichtslosen Ueberweibes sehen wir schließlich nur eine schwächliche und oberflächliche Immoralistin. Die Hedda Gabler verkörpert gewissermaßen eine Etappe auf dem Wege zum Ueberweibe. Diejenige Frauengestalt, welche der Hedda am nächsten steht, ist die Hjördis im Schauspiel «Nordische Heerfahrt», während aber dort die Fabel einfach und klar und von dichterischem Schwung ist, scheint sie bezüglich des socialen Dramas verfehlt. Es spielen soviel Einflüsse in das Stück hinein, Personen und Handlungen werden so gewaltsam gedreht, um der Hedda gerecht zu werden, daß die Naturwahrheit dabei in die Brüche geht. Ich erinnere mich dabei der ebenso wahren wie offenen Worte des Frhrn. v. Berger, daß gerade in der Bedeutsamkeit, dem Sinnreichthum der Ibsenschen Werke ihre Schwäche liege. Wer in den Gedanken, Strebungen und Kämpfen der modernen Welt nicht lebt und webt und daher Ibsens Werke nicht als Aeußerungen eines originellen und scharfdenkenden Geistes über die Probleme, in welche wir Alle verwickelt sind, zu Gemüthe führt, sondern sie so zu genießen versucht, wie etwa einen dramatisirten Roman, in dem es nur klare Personen und klare Absichten gibt, der muß Enttäuschung auf Enttäuschung erleben. Um Sinn in die dramatischen Fabeln vom Schlage der «Hedda Gabler» zu bringen, muß man erst ihre Bedeutung enthüllen um dann auch klar zu erkennen, was freilich die Hypermodernen bestreiten werden, daß Ibsen zu Gunsten dieser Bedeutung überall weit von der Naturwahrheit abgewichen ist. Ja, Ibsens Dramen sind äußerlich nichts weniger als Bilder der Wirklichkeit, das Schauspiel «Hedda Gabler» selbst lieferte den besten Beweis. Nicht nur zur Hedda selbst, sondern auch zu Lövborg, der sich erschießt, als ob sein Manuscript nicht zu ersetzen wäre; zu Brack, der Morgens um sieben Besuche macht; zu Frau Elvsted, die fünf Minuten nach der Todesbotschaft schon zu arbeiten anfängt; zu Tesman, der den furchtbaren Diebstahl gutheißt, weil Hedda «für ihn brennt», denk mal! kurz, nicht nur zur Hedda selbst kann man mit Brack sagen: «Aber so was thut man doch nicht!» Wenigstens nicht in der Wirklichkeit, nicht «so im Alltagsleben», um einen Ibsenschen Ausdruck zu gebrauchen.

Diese Erwägungen stimmen mit dem Eindruck der Vorstellung überein, der die Ueberzeugung in mir zur Reife gebracht hat, denn früher habe ich meine Zweifel noch nicht ganz überwunden, daß die streng naturalistische Spielweise, wie sie vom Ibsen-Theater gepflegt wird, mehr verdirbt als nützt. Anstatt den Sinn aus der Darstellung herauszuholen, läßt sie ihn darin stecken. Naturwahre Spielweise was heißt Das überhaupt? Wenn eine Episode im Leben sechs Stunden dauert, muß sie deshalb auf der Bühne sechs Stunden währen? Nein, der Dichter verwendet die Episode nicht so, wie er sie im Leben vorfand, er macht ein Kunstwerk daraus. Nun, so spiele man auch das Kunstwerk! Dadurch, daß man dem Publicum den Rücken zudreht und gegen den Hintergrund hin spricht, wird wohl das «Verständniß» gefördert? An der Spielweise des Ibsen-Theaters sieht man, wie die Extreme sich berühren die höchste Natürlichkeit geht in bare Unnatur über. Die Redeweise wird monoton, die Bewegungen steif, die Belebung von innen geht langsam verloren. Es scheint mir, der naturalistische Bogen ist etwas zu straff gespannt locker lassen, locker lassen, Herr Doctor, damit das Publicum warm werden kann.

Sehr zu loben ist das treffliche Zusammenspiel des ungleich zusammengewürfelten Darstellermaterials ein Zeichen straffer und zielbewußter Regie. Die Hauptdarsteller zeigten sich durchweg ihrer Aufgabe gewachsen, ja, es schien, als ob einige nur durch den Zwang der naturalistischen Tendenz behindert wurden, höher empor zu steigen. In Maske, Spiel und Auffassung entschieden die gelungenste Figur des Abends war der Jörgen Tesman des Herrn Henze. Dieser Künstler bewegte sich freier, ging mehr aus sich heraus, als seine Partner, und ich glaube, er ward dem Dichter durchaus gerecht. Der Gerichtsrath Brack des Herrn Schindler war gut, so lange er nichts vorzustellen hatte, als den correcten, steifen Rath, allein als Werber und auch im letzten Act befriedigte er nicht. Es muß doch einmal ein Moment kommen, wo auch er natürlich wird ich meine, sich eben aller Aeußerlichkeiten entkleidet und ganz Mensch ist. Herr Kalkschmidt als Lövborg spielte mit vielem Fleiß und mit Accuratesse, vermochte indessen der schwierigen Rolle doch nicht gerecht zu werden. Leider standen auch die alte Tante, sowie das Dienstmädchen durchaus nicht auf der Höhe. Sehr hübsch und treffend dagegen erschien mir die Frau Elvsted des Frl. Taliansky; sie traf ganz das Nervöse, Reizbare und Innige, welches dieser Gestalt anhaften muß.

Die Titelrolle, dargestellt durch Frau Helene Riechers, habe ich mir zum Schluß vorbehalten, nicht um zu tadeln, auch nicht um zu loben. Vorausgeschickt sei, daß es sich um eine brave Leistung handelt, die der Darstellerin alle Ehre macht. Die Verkörperung der Hedda und all ihrer widerspruchsvollen Verrücktheiten bietet ungeheure Schwierigkeiten und es gehört schon ungewöhnliches Talent und kaltblütige Routine dazu, um wenigstens alle zu überwinden. Frau Riechers überwand nicht nur, sie spielte auch. Ich muß gestehen, daß mich dieses Spiel zuerst sehr befremdete, daß es mir mißfallen hat. Der Tonfall ist monoton, das Spiel allzu gemessen, man wartet immer auf den endlichen Ausbruch, auf den Moment der ausströmenden Leidenschaft, der niemals kommt. Das Gewitter kommt nicht es wetterleuchtet nur. Selbst im Tode ist ja Hedda noch fischblütig, so hat Ibsen sie gezeichnet. Hier liegts. Vielleicht hat die Darstellerin Recht. Die Hedda ist in der That nur ein Halbweib. Je mehr man sich in diese Natur, die wie eine dunkle, halbgeschlossene Knospe ist, hineinlebt, desto mehr fühlt man sich auch mit diesem zurückhaltenden Spiel einverstanden. Die Hedda ist aber keine Fedora, wiewohl man sie sich auch äußerlich als eine solche gespielt denken kann. Eine Offenbarung ist die Hedda der Frau Riechers nicht, allein sie scheint das Product des Eindringens in die Rolle zu sein. Und Das wäre schon viel. Frau Helene Riechers ist übrigens eine junge Hamburgerin, Schülerin des seligen Buchholz. Es ist, so viel ich weiß, das erste Mal, daß sie in ihrer Vaterstadt auftritt, und es sei ihr an dieser Stelle ein freundliches Willkommen dargebracht.

Philipp Berges.
Publisert 6. apr. 2018 09:57 - Sist endret 6. apr. 2018 09:57