Albert Träger

John Gabriel Borkman ved Deutsches Theater anmeldt av Albert Träger (under signaturen –ae–) i Freisinnige Zeitung i Berlin 31. januar 1897 (2. Beiblatt, s. 1).

John Gabriel Borkman.

Schauspiel in vier Aufzügen von Henrik Ibsen. Zum ersten mal im «Deutschen Theater« aufgeführt am Freitag, den 29. Januar.

Dieser Herr Borkman war Direktor einer großen Bank, ein so hervorragender und populärer Mann, daß er sogar in die Lage kam, ein Ministerportefeuille auszuschlagen, er hat aber auch unterschlagen, Millionen an Beständen und Depots, und dafür drei Jahre in Untersuchungshaft und fünf in Strafhaft zugebracht. Acht Jahre nach seiner Entlassung machen wir seine Bekanntschaft. Er haust auf dem Rentheimschen Familiensitz in der Nähe der Hauptstadt, ganz allein mit seiner Frau und vollkommen getrennt von ihr. Sie unten, er oben im Saal, seit acht Jahren geht er dort hin und her, auf und ab, vom Morgen bis Abend, Tag aus, Tag ein, «wie ein kranker Wolf im Käfig,» nach dem eigenen Ausdruck der liebenswürdigen Dame. Als Zeugin bei der Gerichtsverhandlung hat sie ihn zum letzten Mal gesehen. Ein kaltes, hartherziges Weib, hat sie kein Wort der Entschuldigung für ihren Mann, keine Spur von Mitleid für ihn, auch nicht für die von ihm so zahlreich Geschädigten, darunter viele kleine Leute, die ihre ganze Habe verloren. Es sind ja nur lumpige Geldverluste, sie allein ist die wahrhaft Verlusttragende, Stellung und Ehre und das Ansehen ihrer Familie hat sie eingebüßt. Das wieder zu erringen, den Namen Borkman zu solchem Glanz zu bringen, daß aller Makel verloschen und vergessen, ist ihr einziges Sinnen und Trachten, und dazu hat sie ihren Sohn bestimmt, ihm diese Mission anvertraut. Gleich beim Ausbruch der Katastrophe hat die Tante Ella Rentheim das schwächliche Kind zu sich genommen und mit aufopfernder Liebe groß gezogen. Jetzt hat er die Universität bezogen und weilt wieder bei der Mutter, deren Eifersucht kein Mittel scheut, ihn der Tante abwendig zu machen.

Nun erscheint die Tante plötzlich bei der Mutter, und damit beginnt das Stück. Dämmerung, Schneegestöber, Schellengeläute in der Ferne, oben die Schritte des Wolfes, mehr Stimmung ist kaum denkbar. Auch die beiden Zwillingsschwestern haben sich seit acht Jahren nicht mehr gesprochen. Ellas nicht unbeträchtliches Vermögen ist unberührt, da ihr Depot allein ordnungsmäßig im Bankgewölbe vorgefunden worden. Sie hat das Rentheimsche Familiengut in der Zwangsversteigerung auf ihren Namen gekauft und der Schwester eingeräumt, die dort mit ihrem Mann vollständig unterhalten wird. Als der reizende Zwilling, Gunhild heißt die holde Dame, erfährt, daß auch Ella auf das Gut sich zurückzieht, will sie natürlich sofort entfliehen und ist nur durch die Versicherung, daß die Gutsherrin nebenan im Verwalterflügel ihr bescheidenes Heim aufschlagen wird, einigermaßen zu beruhigen. Wenn sie ihren Neffen Erhard mitnehmen kann, ist Ella auch bereit, wieder fortzugehen. Ihn dem finstern Einfluß der Mutter zu entziehen, ist sie hauptsächlich gekommen, das Urteil der Aerzte hat sie zu baldigem Tode verurteilt, dem geliebten Pflegesohn will sie ihr Vermögen und ihren Namen hinterlassen, der sonst aussterben würde, und es ist jedenfalls ein sehr alter und höchst ehrenwerter Name. In voller Wut bäumt die Mutter gegen diesen Plan sich auf, der Sohn hat ja die unabweisbare Mission, den Namen Borkman rein zu waschen. Da kommt er selbst, ein junger Mensch mit hellen fröhlichen Augen, elegant gekleidet, keimender Schnurrbart, dem man aufs Wort glaubt, daß er zum Missionar auch nicht den leisesten Beruf verspürt und nur leben, nichts als leben will. Am allerwenigsten aber mit der Mama, zu seinem aufrichtigen Bedauern auch nicht mit der lieben guten Tante, sondern mit Frau Wilton, die mitgekommen, um ihn in eine Gesellschaft zu entführen. Diese Frau Wilton ist eine stehende Figur, die bekannte Ibsensche Verkörperung der weiblichen Sinnlichkeit, eine auffallend schöne, üppige Dame in den dreißiger Jahren, sieben Jahre älter als der jugendliche Liebhaber, jedenfalls geschiedene Frau, vielleicht auch nachträgliche Witwe. Großmütig läßt sie ihren Erhard bei Mutter und Tante zurück, sicher, daß er ihr schleunigst nachfolgen wird, und wirklich reißt er sich in fieberhafter Eile los, als von oben die Töne der danse macabre herunterdringen, es wird immer schauerlicher, das hält kein Mensch mit gesunden Sinnen aus.

Der zweite Akt spielt eine Treppe höher. Wir lernen den Wolf in seiner Höhle kennen. Interessante Bekanntschaft. Kein gewöhnlicher Verbrecher, bei Leibe nicht! Ganz ungewöhnlicher Mensch, «vornehmes Aussehen». Ein Bergmannssohn, der Vater hat ihn öfter in die Grube mit hinunter genommen, dort hat er unter den Hammerschlägen den Gesang des Erzes gehört. Das Erz singt, wenn es gehauen wird, vor Freude, weil es an das Tageslicht will, den Menschen zu dienen. Sein Leben lang hat ihn der Durst beseelt, des Goldes schlummernde Geister zu wecken. Das Machtgefühl des Bankdirektors hat ihn berauscht, Großartiges hat er geleistet, unerhörte, weltumfassende Pläne ausführen wollen, Alles zur Hebung des allgemeinen Wohlstandes, zum Nutzen der ganzen Menschheit. Freilich ist er nebenher vierspännig gefahren und hat wahrhaft fürstlich repräsentirt, aber das gehörte zu seiner Machtstellung, dafür ist ihm auch wie einem Fürsten gehuldigt worden. Daß ein solcher Mann keine kleinlichen Bedenken hegen darf und über dem Strafgesetz steht, ist doch selbstverständlich. Außerdem wäre in acht Tagen alles in Ordnung und auch das kleinste Depot wieder an seinem Platze gewesen. Die Kunst, neue Löcher aufzureißen, um alte zu stopfen, ist doch nicht so neu, wie der geniale Bankdirektor zu glauben scheint. Da hat ein vertrauter Freund, der Admiral Hinkel, dieses Vertrauen gemißbraucht und ihn verraten, der Schurke! Acht Jahre lang hat der so schändlich Verratene seinen Prozeß, Staatsanwalt, Verteidiger und Gerichtshof in einer Person, mit größter Gewissenhaftigkeit revidirt und ist zu einer glänzenden Freisprechung gelangt. Jetzt hat ihm Frida Foldal die danse macabre vorgespielt, sie verläßt ihn, um im Hause Hinkels zum Tanz aufzuspielen, wo, wie er zu seiner schmerzlichen Ueberraschung erfährt, auch sein Sohn erwartet wird. Kommt der Vater Foldal, sein Jugendfreund, der einzige Besucher seiner Einsamkeit, die rührendste und menschlichste Figur des ganzen Stückes. Ein Stiefsohn des Glückes, auch ein Entgleister, aber ohne eigene Schuld, führt er ein kümmerliches Dasein als Kanzleischreiber mit einem gewöhnlichen Weibe und fünf Kindern, deren ältestes, Frida, sein einziger Trost, die übrigen behandeln ihn schlecht. Auch er hat durch den Bankdirektor seinen letzten Sparpfennig verloren, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Frau Borkman hält es für einen hochherzigen Ersatz der erbärmlichen paar Pfennige, daß ihr Sohn sich herbeiläßt, Frida in der Musik zu unterrichten. Ein Glück im Winkel hat der bettelarme Foldal doch, ein Trauerspiel, eine poetische Jugendsünde, die keine Folgen gehabt, er hält sich für einen Dichter. Bisher hat Borkman diesen Wahn genährt, heute fällt auch das noch weg. Als Foldal einen schüchternen Zweifel äußert, daß Borkman flehentlich gebeten werde, die Leitung der neuen Bank zu übernehmen, erklärt ihm dieser schonungslos, daß er kein Dichter, und wirft ihn zur Thür hinaus. Nun erscheint Ella. Er erkennt sie nicht gleich, auch sie haben sich lange Jahre nicht gesehen, und doch standen sie sich einst so nahe. Sie war seine heiß geliebte Braut. Da wurde die Bankdirektorstelle frei, der Admiral Hinkel hatte sie zu vergeben und knüpfte daran nur die kleine Bedingung, daß der Bewerber seiner Braut entsage, er liebte sie gleichfalls. Der Gesang des Erzes und die schlummernden Geister des Goldes ließen ihm keine Wahl, ein Bräutigam kann eine andere Braut, eine Braut einen anderen Mann bekommen, aber eine andere Bankdirektorstelle war nicht vorhanden, und so mußte er zum allgemeinen Besten der Braut entsagen und heiratete die ungeliebte Gunhild, beiläufig eine ganz gute Partie. Aber innerlich ist ihm Ella doch das Teuerste geblieben, und hat er auch lediglich deshalb ihr Depot nicht angetastet. Sie hat den Advokaten Hinkel abgewiesen und ist dem Treulosen treu geblieben, liebt sie doch im Sohn den Vater. Diesem macht sie jetzt den Vorwurf, daß er das Liebesleben in ihr getötet und damit sein eigentliches und furchtbarstes Verbrechen begangen habe, die geheimnisvolle Sünde der Bibel, für die es keine Vergebung giebt. Nun rückt sie mit ihrem Plan wegen des Sohnes heraus, großmütig willigt er ein, er ist ganz der Mann, seinen Namen allein zu tragen. Wütender Widerspruch der Mutter, die herbeistürzt – auch die Gatten sehen sich zum ersten Mal seit dreizehn Jahre wieder – und noch wütender abstürzt. Ella bewegt den ganz fügsam gewordenen Bankdirektor, mit ihr hinunterzugehen, um eine Verständigung herbeizuführen.

Dritter Akt wieder eine Treppe tiefer. Die ganze Familie ist zusammen, denn auch Erhard ist mit Frau Wilton erschienen. Um Abschied zu nehmen, sie wollen zusammen ins Leben hinaus, ihr Glück zu genießen, ob mit oder ohne Standesamt, bleibt unklar. Erhard läßt sich nicht halten, auch durch den Vater nicht, der nun seinerseits eine Mission für ihn hat. Er ist nämlich entschlossen nicht abzuwarten, bis er gerufen wird, sondern sogleich hinauszugehen in das Leben, es aufs neue aufzubauen. Der Sohn soll ihn begleiten, der dankt bestens, er hat große Eile, sein Glück aus diesem Schneesturm südwärts zu bergen, draußen wartet schon der Schlitten, und Frida darin, sie soll, wie die ebenso umsichtige, als zartfühlende Frau Wilton allen Versammelten erklärt, gewissermaßen als Reservegeliebte dienen, wenn die beiden Hauptliebenden einander überdrüssig.

Vierter Akt im Freien. Die Zurückbleibenden hören auf das verklingende Schellengeläute. Noch eine rührende Szene mit Foldal, der vor Freude außer sich ist, als er hört, daß seine Frida dem Glück entgegenfährt und himmlisch vergnügt, daß der Glücksschlitten ihn soeben äußerst unsanft überfahren hat. Gunhild kehrt in’s Haus zurück, der Bankdirektor ist zur Heimkehr nicht zu bewegen, er will sofort den Gang in’s Leben antreten, und Ella entschließt sich kurzer Hand, ihn zu begleiten. Beide waten mühsam immer höher durch den tiefen Schnee, bis er erschöpft auf eine Bank niedersinkt. Da packt ihn plötzlich «eine kalte Erzhand» um’s Herz, er stirbt. Ueber der Bank – wie tiefsymbolisch! – reichen sich über ihn hinüber die Zwillingsschwestern die Hände. «Zwei Schatten über ihn, den Toten.» Dabei erfahren wir, daß auch seine Frau ihn geliebt, aber die Kälte hat ihn getötet. «Der arme Tom friert.» 

Die Schrullen des «großen» nordischen Dichters werden immer größer, seine Stücke immer weniger dramatisch, mit seinen sogenannten Menschen läßt sich nicht leben, fühlen, man beobachtet sie wie merkwürdige Fälle in einem Sanatorium. Neugierde höchstens flößen sie ein, die aber bald der Langeweile, wenn nicht noch unangenehmeren Empfindungen Platz macht. Das Borkmansche Ehepaar ist im höchsten Grade unsympathisch und auch Ella im Grunde eine etwas altjüngferlich verdrehte Schraube, sie hat aber doch wenigstens noch menschliche Seiten. Der Kampf der beiden Schwestern um den Sohn der einen wirkt komisch, da die so heftigen Leidenschaften im Innern des jungen leichtsinnigen Menschen auch nicht einen Gefühlston wachrufen, und ebenso ernsthaft ist die Apotheose des Bankdirektors auf der Bank.

An diesen Eindrücken vermag auch die beste Aufführung nichts zu ändern, und die des Deutschen Theaters war sehr gut, ist doch Herr Brahm mit ganzer Seele dabei, wenn es gilt, seine Lieblinge zum Triumph zu führen. Zunächst war einiges gestrichen, es ist mir zwar nicht ganz klar, ob Ibsen gegenüber das erlaubt ist, aber zweckmäßig wars immerhin, füllt doch allein die erste Szene der Zwillingsschwestern 34 Druckseiten, und so gehts fort. Nach meinem Geschmack hätte noch unendlich viel mehr gestrichen werden müssen. Sodann war die Ausstattung ungemein stimmungsvoll, die beiden Schneelandschaften am Schluß überraschen geradezu durch ihre Naturschönheit, wir sind darin jetzt besonders sachverständig. Die Darstellung endlich zeichnete sich durch liebevollen Fleiß und heißes Bemühen aus, wenngleich nicht überall die Kräfte der Aufgabe gewachsen schienen, was übrigens durchaus nicht als ein Tadel der Kräfte gelten mag. Eine vollendete Leistung war Gabriel Borkman. Hermann Nissen faßte ihn, in täuschend ähnlicher Ibsen-Maske, als Wahnsinnigen auf und führte diese Auffassung mit genialer Konsequenz durch. So allein wird der Mann genießbar. Freilich, wenn er so schon den Richtern sich gezeigt hat, bleibt es unbegreiflich, daß sie ihn nicht wegen Unzurechnungsfähigkeit freigesprochen, jedenfalls hat er also zunächst unterschlagen und erst später den Verstand verloren. Luise von Pöllnitz zwang ihr warmes Naturell unter die Herzenshärte der Frau Borkman, nicht immer mit völligem Gelingen. Ella Rentheim hat einen gewissen sentimental-poetischen Anstrich und ist vor allem auch eine feine Dame, Else Lehmann mit ihrem robusten Talent fühlte hier keinen sichern Boden unter den Füßen, sie war meist gespreizt, wie ihre Arme und Hände, und machte den Eindruck, als wolle sie sich in eine höhere Sphäre hinaufschrauben, freilich ist es auch sehr schwer, bis in die vierte Dimension zu klimmen. Nina Sandow ist von großem Liebreiz, aber dieser Reiz entschieden mädchenhaft, ihre äußere Erscheinung und ihr ganzes Wesen widerstreben derartig grobsinnlichen und frivolen Weibern, wie Fanny Wilton, fast schüchtern und verschämt schien sie ihre Liebe zu entschuldigen, die umso erklärlicher, als sie auch nicht der geringste Altersunterschied von dem Geliebten zu trennen schien. Als Erhard war Rudolf Rittner wieder einmal in seinem eigentlichen Element und von entzückender Natürlichkeit und Frische, nicht minder Helene Staglé in der kleinen Rolle der Frida. Mit herzgewinnender Schlichtheit und rührender Einfalt gab Max Reinhardt den armen Kanzleischreiber Foldal, unter Larven fast die einzige fühlende Brust.

Das Haus war überfüllt und sah ganz nach Sensation aus, der Erfolg schien sehr groß, ich bestreite der Gemeinde des Dichters Zahl und Begeisterung durchaus nicht. Manchmal stelle ich mir vor, Ibsen sei ein durchtriebener Schalk, der seine Getreuen zu foppen liebt. Das wäre genial – nicht wahr?

–ae–
Publisert 6. apr. 2018 09:59 - Sist endret 6. apr. 2018 09:59