Signaturen «Gn.»

John Gabriel Borkman ved Deutsches Theater i Berlin anmeldt av signaturen «Gn.» i Berliner Börsen-Zeitung 30. januar 1897 (Morgenausgabe 2. Beiblatt, s. 3).

Kunst und Wissenschaft.

Deutsches Theater. Zum ersten Mal: «John Gabriel Borkman», Schauspiel in vier Aufzügen von Henrik Ibsen. Als wir nach dem Lesen des Buches über dieses Schauspiel urtheilten, konnten wir nicht annehmen, daß es auf der Bühne noch befremdlicher, unnatürlicher wirken werde als im Lesen. Es war aber der Fall, und dies zwar trotz einer Darstellung, die vollendet genannt werden muß. Man wird sich an die Familiengeschichte, die wir kürzlich erzählten, noch erinnern. Borkman war Bankdirector und hat Depots angegriffen, um mit dem Gelde weitausblickende Pläne durchzuführen. Aber sein bester Freund stellte ihm ein Bein und als Verbrecher ging Borkman für 5 Jahre ins Gefängniß und hinter ihm fluchten und weinten die Geschädigten. Warum verrieth ihn der Freund? Weil er annahm, Borkman verhindere es, daß die Frau seiner Wahl, Borkmans Schwägerin, ihm ihre Hand reiche, und doch hatte Borkman diese selbe Ella, die ihn liebte, verlassen, weil der Freund ihr zugethan war, der ihm emporhelfen sollte. Ihm ging die Macht eben über das Glück. Das Alles ist indessen lange vorbei. Jetzt sind alle alt und grau und Borkman bewohnt seit 8 Jahren, also seitdem er wieder frei geworden, mit seiner Frau ein Haus ohne daß die Gatten sich auch nur ein einziges Mal zu sehen bekommen. Denn Frau Borkman ist eine harte, stolze Natur, die es ihrem Manne nicht verzeihen kann, daß er diese Schande über sie gebracht hat und überdies bei Gericht ausgesagt hatte, ihre Verschwendung wäre schuld an Allem gewesen. Sie hat jetzt nur noch eine Hoffnung, daß ihr Sohn Erhard den Namen Borkmann wieder groß und geachtet machen werde. Anders geartet ist ihre Schwester Ella, in deren Hause, auf deren Kosten die Familie lebt. Rauh und wie um sich zu entschuldigen, gesteht ihr zwar Borkman, daß er sie geopfert hat, um Carrière zu machen, entsetzt ruft sie ihm zu, daß er an ihr eine Todsünde begangen, weil er das Liebesleben in ihr getödtet hat aber sie hat ganz andere Dinge im Herzen, nun, da sie eine an lebensgefährlicher Krankheit Laborirende ist. Sie hatte Erhard in seiner Jugend bei sich, sie will ihn wieder haben, um ihn aus den Händen seiner Mutter zu retten. Wovor, warum? Das ist Ibsens Geheimniß. Ella merkte gar nicht, daß sie einem gemüthlosen Lüstling ihre zärtliche Fürsorge weihte und als sie es bemerkt, freut sie sich, daß er mit einer leichtsinnigen Wittwe durchgeht, statt bei seiner Mutter zu bleiben. Man wird dies nicht verstehen und wir geben uns gar keine Mühe «das Unbegreifliche zu einem Ereigniß zu machen.» Borkman stirbt im Walde und die Zwillingsschwestern stehen als zwei Schatten bei einer Leiche, wie Ella sagt. Die leichtfertige Wittwe hat übrigens noch ein 15jähriges Mädchen mitgenommen, damit Erhard, wenn er ihrer überdrüssig ist, Ersatz finde. Das hören anständige Frauen an und werfen die Buhlerin nicht zum Hause hinaus. Wieso? Das ist ebenfalls Ibsens Geheimniß. Erhard ist Student und geht auf und davon und die keusche sanfte Ella segnet ihn bei diesem beispiellosen Streich, daß er mit einer Courtisane in die Welt zieht, weder an die Mutter noch ans Studium denkt und fragt man: Warum? so giebt es wieder nur eine Antwort: Ibsen will es so und das genügt seiner Gemeinde, über deren Urtheilslosigkeit er sich ungestraft noch viel weiter gehend belustigen dürfte. In Kunstsachen, so lautet eine landläufige Phrase, ist das Urtheil individuell. Wenn aber ein talentvoller Maler beharrlich die Anatomie ignorirt und die Figuren verzeichnet, werden Alle Unrecht haben, denen dies gefällt und der Eine, dem es mißfällt, wird Recht behalten. Dieser Eine ist der Referent einer ganzen Menge von Menschlein gegenüber, die immer begeistert sind, weil sie nicht den Muth ihres oder besser gesagt, eines Urtheils besitzen. Mit der Gelassenheit, welche die innere Ueberzeugung gewährt, sprechen wir es darum aus, daß in dem neuesten Ibsenschen Schauspiel nicht eine Figur handelt, denkt und spricht, wie sie handeln und denken, sprechen und urtheilen müßte, wenn die Voraussetzungen lebende Wesen beträfen. Selbst der Borkman nicht, der wenigstens nach der einen Seite etwas menschlich Wahres hat, im Punkte der Selbstentschuldigung nämlich, aber auch nur nach dieser Seite. Im Uebrigen wem diese Art Kunst gefällt, der ist nicht zu belehren, denn die schlimmsten Tauben sind die, welche nicht hören wollen. Was das Theater unter solchen Umständen eigentlich als Culturmoment, als künstlerischer Ausdruck menschlicher Gestaltungskraft noch bedeutet, das nun das ist wieder Ibsens Geheimniß. Wir wollen und können nicht alle revoltirenden Gedanken und Empfindungen in einem Bericht über eine solche Premiere zum Ausdruck bringen, denn man müßte dann immer gleich ein Essay über das Ibsenunglück schreiben. Aber so viel muß gesagt werden: Man erfülle endlich den Zweck des Theaters und lasse Charaktere vor uns werden, anstatt die Stimmungen der längst Gewordenen vor uns zu analysiren! Auch in diesem Schauspiel meditiren die Leutchen gar viel über sich und das ist sehr langweilig, während Alles, was wirklich geschieht, schief, unwahr oder gar frivol ist.

Und es gab eine Menge Weibsen, die begeiststststert waren und so lange applaudirten, bis Director Brahm erschien und meldete, daß Henrik Ibsen durch die Aufführung des Stückes in Christiania verhindert ist, die Anerkennung, die ihm gemeldet werden soll, persönlich in Empfang zu nehmen. Ueber die Aufnahme des Werkes in Christiania schwieg sich Dir. Brahm aus, par les bonnes raisons! Ob Ibsen mit diesem Stücke Geschäfte macht oder nicht, haben wir nicht zu untersuchen. Aber bedauern können wir es nur, daß solche Stücke den sicher vorhandenen echten Theaterstücken Luft und Licht rauben, weil sie eben überall aufgeführt werden müssen, um die Neugierde des Publicums zu befriedigen, das über einen Dichter in Mode bei ästhetischen Thees oder entre beurre et fromage geistreichelnd sich selbst bespiegeln will.

Die Aufführung war, wie gesagt, geradezu unübertrefflich. Herr Nissen spielte den Borkman in der Maske Ibsens hoffentlich nicht, um symbolisch anzudeuten, daß Ibsen der bankerotte Mann sein soll, der zu hoch hinaus wollte. Er konnte fesseln, interessiren, abstoßen und dennoch ergreifen. Louise von Poellnitz, die Borkmans Gattin spielte, that das Ihrige, um die harte Frau menschlich unserem Empfinden näher zu bringen. Man glaubte ihr und gab ihr Recht. Das that einzig ihre Darstellung. Erschütternd war Else Lehmann als Ella. Daß dieses große Talent, das zu früh ältere Rollen spielt, auch in diesen sich ruhmreich bewähren werde, war vorauszusehen und ist erfreulich. Vortrefflich spielte Rittner Borkmans leichtsinnigen Sohn Erhard und überwältigend Herr Reinhardt die Rolle des alten Foldal, der zu Borkman hält, weil er glaubt, dieser meine es ehrlich mit seinem Vertrauen in Foldals Dichterberuf. Nina Sandow spielte die Verführerin Fanny Wilton gewinnend; erfreulich auch darum, weil Temperament in ihrer Darstellung lag. Das Tempo wurde von allen Andern recht vergriffen. Schneller wäre weniger langweilig gewesen.

Man ist froh, einen solchen Theaterabend hinter sich zu haben. Was sich wohl Jene denken, die sich einreden, einen Kunstgenuß gehabt zu haben? Das bleibt auch für Ibsen Geheimniß.

Gn.
Publisert 6. apr. 2018 09:59 - Sist endret 16. apr. 2018 11:34