Fritz Engel

Kronprätendenten på Königliches Schauspielhaus i Berlin anmeldt av Fritz Engel i Berliner Tageblatt 1. juni 1891 (Nr. 269, XX. Jahrgang).

Ibsens «Kronprätendenten».

Erstaufführung im Königlichen Schauspielhaus am Sonnabend, den 30. Mai.

Henrik Ibsen war im Jahre 1857, als er sein historisches Schauspiel «Die Kronprätendenten» schrieb, Theaterdirektor in Christiania. Er war nicht schon wie später Führer und Verführer, er war noch der Geführte; sein körperliches Auge war noch befangen in den engen Verhältnissen der nordischen Heimath, sein geistiges hatte noch nicht gelernt, die Nebel der Tradition, der später so viel gehaßten, zu durchspähen. Wie heutzutage bei uns die sozialen Dramen des vierten Standes in Mode sind, waren vor 30 Jahren im Norden die politischen Dramen des ersten Standes im Schwange. Die inneren Wirren, die das ganze 12. Jahrhundert hindurch am Marke Norwegens zehrten und die ihren Ursprung in dem auch auf außereheliche Kinder der Gewalthaber ausgedehnten Thronfolgerecht hatten, beschäftigten eine ganze Reihe von Dichtern dieses Landes, das auch heute noch nicht zur politischen Ruhe gelangt ist. Vor allen war es Adam Oehlenschläger, Björnstjerne Björnson und Andreas Munch, die ihre Federn in den Dienst der nationalen Dichtung stellten. Des letzteren Schauspiel «Herzog Skule» deckt sich in vielfacher Weise mit Ibsens «Kronprätendenten». Beide behandeln den endlichen grandiosen Abschluß der Bürgerkriege durch König Hakon Hakonson, der sein angeborenes Recht gegen eine Welt von Widersachern vertheidigte, das Land beruhigte und vergrößerte und weit über dessen Grenzen hinaus gewaltigen Herrscherruhmes genoß, so daß ihm der Papst sogar den eigentlich nicht vakanten Deutschen Kaiserstuhl anbot.

Die rein äußerliche dramatische Verarbeitung dieser für den Geschichtsforscher gewiß hochinteressanten Ereignisse würde uns, die Söhne eines anderen Landes und einer anderen Zeit, ohne Zweifel kalt lassen, und was an den «Kronprätendenten» im eigentlichen Sinne historisch ist, das Stoffliche in dem Stücke, kann in der That kaum mehr als ein ganz flüchtiges Interesse erregen. Aber für jeden, der hören kann und Ibsensch versteht, werden die Gestalten des Werkes aus dem engen Rahmen ihrer Zeit herauswachsen in das allgemein Menschliche und, der stilgerechten Kostüme los und ledig, in nackter Wahrheit mehr predigen, als die Moral eines Landes und eines Jahrhunderts.

Ibsen stellt in seinem Hakon Hakonson einen Menschen hin, der groß wird durch den Glauben an seine göttliche Mission, der der gewaltigsten Männer einer wird, nicht weil sein Arm der kräftigste, sein Geist der umfassendste ist, sondern weil «in ihm die Forderungen seiner Zeit aufflammen wie in Glut, Gedanken in ihm erzeugen, die er selbst nicht faßt, ihm den Weg zeigen, von dem er selbst nicht weiß, wohin er führt, den er aber dennoch geht und gehen muß, bis er das Volk laut jubeln hört und mit weit offenen Augen verwundert um sich schaut und begreift, daß er ein großes Werk vollbracht hat.» Das ist der Kern des Stückes. Der «Königsgedanke» ist es, der große Männer erzeugt. Das «ingenium», diese holdeste Gabe des Himmels, die sich nicht erbetteln und nicht erkämpfen läßt, ist es, welches die wahren Könige salbt. Wer den späteren Ibsen kennt, wird hinter diesem norwegischen «historischen Schauspiel» die Symbolisirung eines allgemeinen sonst kaum wohl behandelten Stoffes errathen. Die «Kronprätendenten» sind der Hochgesang des Gottesgnadenthums im weitesten Sinne des Wortes, und von diesem Standpunkte aus, läßt sich leicht die Brücke schlagen über die scheinbar unendliche Kluft zwischen dem Ibsen von einst und von heute.

In ungemein scharfer Zeichnung ist diesem Hakon äußerlich und gedanklich der Jarl Skule entgegengestellt, der Mitbewerber um die Krone desheiligen Olaf. Er gehört zu den unglücklichen problematischen Naturen, die selbst «an ihren eigenen Zweifeln zweifeln», wie sie in echt Ibsenscher Präzision gekennzeichnet werden. Ihm fehlt Alles, weil ihm der Glaube an sich selbst fehlt und er geht zu Grunde, weil hinter der kronengeschmückten Stirn keine «Königsgedanken» reifen. Zwischen beiden Männern steht als advocatus diaboli, der sich nicht nur in Norwegen in heiliges Gewand zu kleiden liebt, der greise Erzbischof Niklas. In dieser Figur feiert das Charakterisirungstalent Ibsens seinen höchsten Triumph, an ihr zeigen sich auch, wie die grandiose Sterbeszene des dritten Aktes ergiebt, die Spuren eines Dichters, der sich nachmals mit Vorliebe pathologischen Stoffen hingab. Der nordisch-mystische Zug hingegen, der Ibsen eignet, findet seine seltsame Verkörperung in einer weiblichen Figur, in Sigrid, der Schwester Jarl Skules, während die sympathische Gestalt der zärtlich und selbstlos liebenden Mutter und Gattin, die Ibsen in Hakons Gemahlin Margrete gezeichnet, in allen seinen späteren Stücken kein würdiges Seitenstück findet; was in ihm war von naiver Herzlichkeit, hat er sich längst hinausphilosophirt. So etwas wie sich selbst giebt er in dem Barden Jatgair wieder, der ein Dichter ward, weil er die «Gabe des Schmerzes» empfangen hat ein Gedanke, der bei Ibsen häufig, auch noch in neuester Zeit, wiederkehrt. Klar wie jede einzelne Figur ist auch die ganze wechselvolle Handlung und mit bewunderungswürdiger Genauigkeit ziehen sich am Schluß die Fäden zu dem tragischen und doch versöhnlichen Ausgang zusammen.

Der durchweg glänzenden Darstellung ist bereits gedacht worden. Aber noch einmal sei die Leistung Max Grubes als Erzbischof hervorgehoben; in der schon erwähnten großen Szene des dritten Aktes war er von überwältigender Wirkung. Herr Matkowsky fand in seiner Rolle, der des strahlenden, siegesgewissen, jungen Königs Alles, was er brauchte; er spielte sie maßvoll und ohne falsches Pathos. Herr Arndt war ein guter Jarl Skule, aber mich dünkt, Herr Nesper, der sich mit einer kleinen Aufgabe begnügen mußte, wäre ein noch besserer gewesen. Die Ausstattung, die aus dem Arsenal der Meininger stammt, ist prächtig.

Ob die «Kronprätendenten», die leider erst so spät im Jahre erschienen, ein Kassenerfolg sein werden? In Wien sind sie es nicht geworden, und als die Meininger sie vor 15 Jahren hier in der Friedrich-Wilhelmstadt spielten, waren sie es auch nicht. Sie sind kein Stück für die große Menge, die darin nur eine langweilige Schauertragödie sehen wird; die Leitung unserer Hofbühne wird sich wahrscheinlich mit der Ehre begnügen müssen, der jetzigen Generation die Kenntniß eines anderen Ibsen vermittelt zu haben, als wie sie ihn sonst in neueren Werken sieht, bejubelt und auszischt.

Fritz Engel.
Publisert 9. apr. 2018 13:31 - Sist endret 9. apr. 2018 13:33