Anonym anmelder i Mecklenburgische Zeitung

Kronprätendenten på Großherzogliches Hoftheater Schwerin anmeldt i Mecklenburgische Zeitung i Schwerin 19. november 1876 (Nr. 318).

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Mittwoch den 15. Nov.   Zum ersten Male: Die Kronprätendenten, Historisches Schauspiel in 5 Akten. Nach dem Norwegischen Henrik Ibsens für die deutsche Bühne bearbeitet von Adolf Strodtmann. Musik von Alois Schmitt. Unserer Intendantur gebührt das Verdienst, daß unsere Bühne mit eine der ersten, welche dies Schauspiel zur Aufführung bringt; in Berlin ward es, wenn wir nicht irren, nur von den Meiningern gegeben. Dies Stück ist in jeder Weise schwerwiegend: nordische Sitten, nordische Anschauungen damaliger Zeit, werden vom Dichter in markig charakteristischer Weise vorgeführt; wir wüßten in unserer ganzen Litteratur kein Schauspiel zu bezeichnen, in welchem das hochmüthige, hierarchische Streben der Geistlichkeit so prägnant gezeichnet wäre, als hier in dem Bischof Nikolas Arneson: «nein, nein was ich nicht erreichen konnte, soll kein Anderer erreichen. Die Ungewißheit ist das Beste, so lange sie den Herzog verzehrt, werden die Beiden einander tödtlich bekämpfen, wo sie nur können, Städte werden niedergebrannt, Dörfer geplündert werden,» ist mit diesen wenigen Worten nicht das Streben der herrschsüchtigen Hierarchie aller Zeiten mit scharfer Geißel gekennzeichnet? und wenn der Dichter nun den Bischof, als er von Gewissensangst gefoltert, indem er sich als den Unheilstifter selbst erkennt, fortfahren läßt: «Ich bin es ja, der die Schuld trägt, ich, der von Anbeginn zu dem Allen den Anstoß gab man soll Messen und Gebete lesen es hat keine Noth ich bin ja Bischof und ich habe nie Jemand mit eigener Hand getödtet,» so ist hier die Mischung von Glauben und Unglauben, frecher Frivolität und blindem Festhalten an den Formen der Kirche wieder unübertrefflich mit wenigen Federstrichen vollendet. Und zur weiteren Illustration dieser Tendenz die Worte: «Hier hinter diesem dünnen Siegel liegt Norwegs Geschichte für hundert Jahre. Sie liegt und träumt, wie der junge Vogel im Ei. O, wer jetzt mehr als Eine Seele hätte oder auch keine. O, käme mein Ende nicht so schnell und das Gericht und die Strafe ich wollte Dich ausbrüten zu einem Geier, der grausige Schatten über das ganze Land werfen und seine scharfen Krallen in Jedermanns Herz bohren sollte. Aber die letzte Stunde ist nah du sollst ein Schwan werden, ein weißer Schwan,» können sie treffender gewählt werden? Seine Beichte, in welcher er seine Lebensgeschichte mit dem nagenden, ihn ewig quälenden Ehrgeize schildert, wie ängstlich er für den Zwiespalt der Prätendenten sorgt: «Keiner von Euch soll die Größe des Andern seinem eignen Wuchse zulegen es gäbe einen Riesen hier im Lande, wenn das geschähe und es soll keinen Riesen geben, denn ich war niemals ein Riese,» seine Todesangst, seine Bitten um Gebete, das Bewußtsein, noch im letzten Augenblicke nach Möglichkeit Unheil zu stiften, Alles zusammengefaßt giebt ein trefflich abgerundetes, erschütterndes Bild, das seine hohe Bedeutung in der Litteratur sich bewahren wird. Nicht minder bedeutungsvoll und erschütternd ist das ganze Ringen und Streben des Jarl Skule; wenn man dem Hakon auch gerne den Sieg gönnt, bedauert man doch das Unterliegen des Skule, dieses kräftigen Helden, und unterschreibt mit vollstem Einverständnis das Urtheil des Hakon: «Skule Bordson war Gottes Stiefkind auf Erden; das war das Räthsel an ihm», in welchem die ganze Schwere dieser Schicksalstragödie zusammengedrängt! Ein hochpoetischer Gedanke, der das ganze Stück durchzieht, ist ferner der Neid des Skule gegen Hakon wegen des Königsgedankens, das norwegische Volk zu einen!

Gespielt ward von allen Betheiligten anerkennenswerth gut im vollem Bewußtsein der hohen Würde dieses Stücks, was um so mehr hier hervorzuheben, als auch die kleinste Rolle in diesem Schauspiele nicht ganz unbedeutend.

Eine musterhafte Leistung ist die des Herrn Drude als Bischof Nikolas; die eben von uns versuchte Schilderung des Charakters brachte er zur vollen Anschauung, seine sich verwundernde Schadenfreude, wenn er die Folgen seiner Unheilstiftung, das Aufgehn seiner Saat in Erfahrung bringt, ist vollendet, sein stummes Spiel während der Unterredung des Dagfin Bonde mit Inga ist rühmend anzuerkennen: die Schwere, mit welcher der Brief des Pfarrers auf seiner Brust lastet, der Kampf, ob Engel oder Teufel in ihm siegen soll, ist ihm von der Stirne abzulesen, und wiewohl eine so lange Sterbescene selten auf der Bühne von guter Wirkung, so wird sie doch durch das großartige Spiel des Hrn. Drude wesentlich gekürzt. Hr. Bethge als Hakon kämpfte ebenso sehr mit seinem Gedächtnis, wie mit Skule, was wir um so mehr bedauern, als er in seiner ganzen Erscheinung, seiner ganzen Auffassung das Ritterliche, Königliche des Hakon vortrefflich vorführte. Zu seiner Erwägung möchten wir es stellen, ob die Schlußworte des Stücks nicht bedeutungsvoll ernster zu betonen? Hr. Schneider spielte die umfangreiche, schwere Rolle des Jarl Skule. Den innern Kampf mit sich und seinem Drange nach großen Thaten, die durch Bewußtsein von Schuld gelähmte Kraft, die Anerkennung des Hochsinns seines Gegners, die ihn wiederum niederdrückt, dies Alles zum Ausdruck zu bringen, sind so schwere Aufgaben, daß wir Hrn. Schneider für die Lösung derselben nur unsern Dank aussprechen können, wir zweifeln aber keinen Augenblick, daß dies eine Rolle ist, die bei neuer Durcharbeitung dem Künstler stets Gelegenheit geben wird, noch neue Seiten dem Charakter abzugewinnen. Die kleine, aber dankbare Rolle des Harald ward durch Hrn. Ottbert zur Zufriedenheit ausgeführt: die ideale Liebe zum Skule verstand er mit richtigem Maße zur Geltung zu bringen.

Auch die Damenrollen befanden sich in guten Händen. Frau Otto-Martineck sprach ihre kleine Partie Sigrid ausdrucksvoll und verständnißreich; Fräulein Gollmann, Inga, brachte die hingebende Mutterliebe, die in dem Glanze ihres Sohnes aufgeht, mit Präcision zur Anschauung des Publikums, Frau Buttermann, Ronhild, gab sich viele Mühe, doch reicht ihr Organ zu dieser Rolle nicht aus; Fräulein Anders, Ingeborg, ist offenbar für diese zu jung, sowohl in ihrer ganzen Erscheinung, als in ihrer Stimme, wenn sie uns auch versichert: «ich bin stumm gewesen, wenn ich nicht Worte der Liebe von Dir sprach deshalb blieb meine Stimme wohl frisch und weich und jugendlich» so ist sie doch immer die Mutter des Harald! Eine wirklich bedeutende Leistung ist die der Margrete des Fräulein v. Ernest: die kindliche Liebe zum Vater, die zu ihrem Kinde, die hingebende Neigung zum Gatten, die Mischung aller dieser Gefühle und den Streit zwischen ihnen versteht Fräulein v. Ernest uns in liebenswürdigster Weise vorzuführen, ein jungfräulicher Duft ruht auf der ganzen Ausführung ihrer Rolle und die Scene, in der sie so hingebend zu den Füßen des Hakon niedersinkt, zeugt von einer Wärme der Empfindung, die den Zuschauer angenehm berühren muß. Alle übrigen kleinen Rollen, die hier nicht erwähnt sind, wurden mit Fleiß gespielt. Die Musik unseres Kapellmeisters leitete das Stück würdevoll durch eine Ouverture ein, deren Würdigung wir Musikverständigen überlassen, der Krönungsmarsch trug zur Belebung der ganzen Scene wesentlich bei. An der Ausstattung und Inscenirung war ein pietätvoller Fleiß nicht zu verkennen.

Unsere Besorgnis bei der Lektüre dieses Stücks, ob es zur Aufführung besonders geeignet sei, ist nicht ganz ungerecht gewesen. Abgesehn davon, daß die Schönheit der Sprache, die Schwere des Inhalts Nichts für den großen Haufen, so eignen sich die vielen bedeutenden Zwiegespräche besser zum Lesen als zum Spielen und geben der Entwickelung etwas Schleppendes, vielleicht würde hier eine geschickte Hand durch Kürzung noch helfen können.

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Publisert 9. apr. 2018 13:47 - Sist endret 9. apr. 2018 13:48