Philipp Stein

Kronprätendenten ved Neues Theater i Berlin anmeldt av Philipp Stein i Berliner Lokal-Anzeiger 8. oktober 1904.

Theater und Musik.

Ph. St.  Im Neuen Theater ist gestern (Freitag) ein gut Stück künstlerischer Arbeit geboten worden. Ibsens grandioses fünfaktiges historisches Schauspiel «Die Kronprätendenten» wurde in vorzüglicher Inszenierung, fast durchweg in echter Stimmungswiedergabe, nur in den ersten Szenen allzu laut, vorgeführt. Es war ein großer Erfolg, die stärksten Wirkungen erzielten der zweite und der dritte Akt. Der bedeutsame vierte Akt wurde durch die nicht ausreichende Darstellung des Skule um einen großen Teil seines sonst sicheren Eindruckes gebracht, der Schlußakt mit seinen viel wechselnden Szenenbildern griff nicht ganz so tief, wie zu erwarten gewesen man war bereits etwas abgespannt; denn die Vorstellung hat gestern mehr als 4 ½ Stunden gewährt. Aber es war jedenfalls ein sehr dankenswertes Unternehmen, diesem Drama des Königsgedankens, das zugleich die Tragödie des Neides und der Schwächlichkeit und das hohe Lied des naiven Ingeniums ist, zu seinem Recht zu verhelfen, nachdem die Hofbühne es seit 1891 nicht mehr vorgeführt hat. Als die «Kronprätendenten» zum ersten Male in Berlin erschienen im Juni 1876 bei einem Gastspiel der Meininger da vermißte Karl Frenzel an ihnen die eigentlich dramatische Wirkung, er sah nur das Gepräge einer bunten und reichen Staatsaktion. Er gestand nur zu, daß dieses Drama uns mit einem hervorragenden Dichter bekannt mache, und daß, dank der glänzenden Meininger Einrichtung, «niemand ganz unbefriedigt der Vorstellung beiwohnen wird». Inzwischen hat man gelernt, die überragende Größe des gewaltigen Dichters zu begreifen, zu empfinden, daß dieses Drama zu den bedeutendsten Schöpfungen der Weltliteratur zählt und daß ein Vergleich dieser Dichtung nur mit den Dramen Shakespeares zulässig ist. Als Ibsen mit sechsunddreißig Jahren dieses Drama schrieb, da war er selbst noch ein Kronprätendent König in der skandinavischen Literatur war Björnson. Dieser war der erste Mann Jungnorwegens und Ibsen nach dem Worte von Eduard Brandes nur der bleiche Mond unter Björnsons Sonne. Längst ist inzwischen Ibsen König geworden, und schon allein dieses Drama des Königsgedankens läßt ihn dazu berufen erscheinen. Aber noch zweifelt Ibsen an seinem Dichterberuf, noch wirft er hier die sein Kämpfen und Zweifeln offenbarende Frage auf: «Glaubst du jederzeit so sicher, daß du Skalde bist?»

Die Dichtung, in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts spielend, behandelt den Kampf der beiden Thronbewerber, des Hakon Hakonson und des Jarl Skule. Hakon, ein freier, offener, sieghafter, königlicher Charakter, ein Falke, der die Wolken zerteilt und gegen den Wind fliegt, wird zum König gewählt, nachdem seine Mutter durch die Feuerprobe, die sie besteht, seine Rechtsbürtigkeit erwiesen hat. Skule wird von Hakon, der Skules Tochter Margarete gefreit, zur Regierung mit herangezogen, aber sein vom Bischof Nikolas noch aufgestachelter Ehrgeiz verlangt mehr er will die Hälfte des Reiches, und da ihm Hakon das nicht gewährt, zieht er gegen ihn zu Felde. Er wird besiegt und bietet sich, vor dem Tode zu heldischer Grösse emporwachsend, freiwillig und wehrlos den Waffen seiner Feinde dar. Ein Stiefkind Gottes auf Erden ist er gewesen, während Hakon das Ingenium, den Genius und damit den naiven Glauben an die eigene Kraft und Sieghaftigkeit besitzt. Er ist der Typus des Genius er vollbringt die größten Taten, ihn wecken die Forderungen der Zeit wie Flammen, sie erzeugen ihm Gedanken, die er selbst nicht faßt, zeigen ihm den Weg, dessen Ziel er nicht kennt. Mit ihm ist das Glück, und darum ist er der größte Mann, Hakon hat den großen Königsgedanken ausgesprochen, Norwegen, das bisher nur ein Reich gewesen, müsse auch ein Volk werden. Skule vermag das Wort nicht zu fassen, und doch läßt es ihn nicht mehr los er liebt es wie eine unfruchtbare Frau das Kind einer andern liebt. Da er sich ganz verlassen fühlt, wird ihm von seiner verlorenen Geliebten sein Sohn zugeführt ihm vertraut er den Königsgedanken als seinen eigenen, und um dieses Gedankens willen sieht der Sohn in ihm den berufenen König. Das wird für Skule zur tiefsten Tragik, da er dem Sohne eingestehen muß, daß dem siegreichen Hakon auch dieser Königsgedanke gehört. Daneben oder vielmehr als treibendes Element läuft die Tragödie des Neides, verkörpert in dem Bischof Nikolas, eine Gestalt von solcher Größe der Bosheit und Niedertracht und psychologisch so vertieft, daß sie künstlerisch neben, wenn nicht über Richard III. zu stellen ist. Er haßt, weil er nicht lieben kann er hat einst den Ehrgeiz gehabt, Krieger und König zu werden, aber er ist feige aus der Schlacht gelaufen, er hat Frauen geliebt, ist aber jeher nur ein Halbmann gewesen. Er wollte ein Held werden und war ein Krüppel. Nur noch die Freude am Bösen ist ihm geblieben. In der Todesstunde tröstet ihn die Vorstellung, er werde eine Art Unsterblichkeit haben, er werde fortleben und die Geister regieren durch das Perpetuum mobile der Zwietracht, das er geschaffen. Sein ganzes Leben war eine Teufelei, und mit teuflisch verschmitzter Freude nutzt er auch seine letzten Momente aus.

Reinhardt gab diese Gestalt mit vollendeter Kunst diskret zurückhaltend und lauernd, niemals den offenbaren Bösewicht zeigend, stets wie unter einer Maske, die sich nur lüftete, wenn Nikolas allein war. Ergreifend und fesselnd, mit vielen sehr feinen Einzelheiten spielte er die Sterbeszene. Reinhardts Leistung war der künstlerische Gewinn des Abends. In sehr starkem Abstande danach kam der Hakon Kayßlers, kraftvoll, sympathisch und verständig gespielt, aber doch ohne all das Sonnige, Leuchtende, Hinreißende, Bezwingende, das dieser Siegfriedsnatur eigen sein muß. Nach einem weiteren Abstand kam der Skule des Herrn Wüllner. Der Darsteller hat sich seit seinem verunglückten Herodes in der charakterisierenden Behandlung der Sprache erfreulich gebessert. Im Affekt bot er gestern auch darstellerisch gutes, aber er ist doch als Schauspieler nur ein Durchschnittsdarsteller, und wie wenig das für die Rolle des Skule ausreicht, zeigte das Versagen des vierten Aktes, dessen Träger Skule ist. Sehr gut waren die Damen Höflich, die zum Schluß einige Else-Lehmann-Töne hatte, und Frl. Durieux, Frl. Wangel als Gattin Skules ließ Größe des Stils vermissen. Von einigen Schwächen im einzelnen abgesehen, war es im ganzen ein interessanter und dankenswerter Abend.

Publisert 9. apr. 2018 13:59 - Sist endret 9. apr. 2018 14:00