Rudolf von Gottschall

Kejser og Galilæer på Leipziger Stadttheater anmeldt av Rudolf von Gottschall i Leipziger Tageblatt 7. og 10. desember 1896.
(7. desember 1896)

Neues Theater.

Leipzig,  6. December.   Die große Gedankendichtung Henrik Ibsens «Kaiser und Galiläer», das letzte Werk jener Epoche seines dramatischen Schaffens, in welcher er geschichtliche, meist nordische Stoffe behandelte oder skandinavische Faustiaden schrieb, ist der deutschen und nordischen Bühne bisher fremd geblieben und wohl auch der deutschen Ibsengemeinde fremd, die den Weihrauch ihrer Vergötterung nur dem Priester der socialen Dramatik spendet, der die Probleme des gesellschaftlichen Lebens und besonders des Ehelebens zu lösen sucht und zwar nicht im Treiben der großen Hauptstädte, sondern in den norwegischen See- und Gebirgswinkeln. Zum ersten Male hat ein deutscher Dramaturg und Regisseur das Wagestück unternommen, dies zehnactige Drama für die Bühne zu erobern, und, wie der gestrige Abend zeigt, das Wagestück ist Herrn Leopold Adler geglückt, soweit überhaupt eine Gedankendichtung auf der Bühne zu wirken vermag; denn nicht mit den Geschichtsdramen trotz seines an die Ueberlieferung anknüpfenden Verlaufs und seiner farbenschimmernden Einkleidung, sondern mit den Faustiaden hat «Kaiser und Galiläer» das Meiste gemein, seine Hauptwendungen und Hauptwandlungen sind innerlicher Art, die persönliche Theilnahme an dem Geschicke der Helden tritt zurück gegen den Antheil an der ganzen geschichtlichen, durch die Massen vertretenen Geistesentwickelung; es ist auf die Bühne gebrachte Geschichtsphilosophie, und unser Publicum würde nicht geneigt sein, für diesen Cursus Lehrgeld zu bezahlen, wenn nicht vom Theaterhimmel so viele zündende Gedankenblitze herniederzuckten und dabei die Bühne durch glänzende Massenbilder und decorative Ausstattung zugleich einen opernhaften Reiz ausübte.

Der Magus aus dem Norden, der Geister- und Gespensterseher ist Ibsen in diesem Geschichtsdrama wie in seinen gesellschaftlichen Stücken. Hier kann er sich noch mehr ein Genüge thun; denn neben den Visionen und Gesichten, welche die Helden seiner neueren Stücke beunruhigen und an denen es auch in «Kaiser Julian» nicht fehlt, kann er hier die Gespenster selbst in ihrer schattenhaften Gestalt citiren; hat er doch in seinem Mystiker Maximus einen Magier, der über sie verfügt und es mit den spiritistischen Geisterklopfern aufnehmen darf. Er beschwört Kain und Judas Ischarioth herauf, die negativen Geister, welche der Weltgeschichte einen mächtigen Ruck nach vorwärts geben, dem geheimen Zwang der Nothwendigkeit gehorchend und den beiden Reichen, die durch sie geschaffen wurden, soll sich das dritte anschließen; doch noch weilt unter den Lebenden, der es begründen soll. Julian selber ist der Auserlesene und Maximus ist sein Dämon, der ihn fortreißt zur entscheidenden That. Dies dritte Reich bleibt aber in mystischem Dunkel liegen. Es ist für Ibsen charakteristisch, daß seine Gedanken immer gegen die Spitze hin abbrechen. Das Schiefe und Paradoxe liegt in seiner ganzen Eigenart. Bei diesem dritten Reiche möchte man an eine Versöhnung des Heidnischen und Christlichen denken. Wenn Maximus aber im letzten Act sagt, er, Julian, sei der Kaiser und der Galiläer selbst in Einer Person, so ist das nur eine Phrase, bei der sich nicht viel denken läßt. Der Cäsar Julian hat keine Ader mehr von Galiläer in sich.

Doch wenn wir auch den Maximus mit seinen Geistern preisgeben, es bleibt noch eine bedeutsame psychologische Entwickelung des Helden übrig. Zwar die oft an Platon erinnernden Dialoge der Weisheitslehrer und Schüler und Julians, diese philosophische Peripatetik konnte der Bearbeiter nicht mit ihrem vollen Behagen auf der Bühne herumspazieren lassen, da galt es, herzhafte Striche, und einige Personen, die bei Ibsen eine große Rolle spielen, sind ihnen zum Opfer gefallen. Was aber von der ersten Hälfte übrig bleibt, hat dramatischen Kern. Wir sehen den Kaiser des Ostreichs, einen entnervten Tyrannen, grausam, heimtückisch, oft aus Furcht übergnädig; wir sehen ihn, wie er im ersten Act seinen Vetter Gallus mit dem Purpur des Cäsars bekleidet, während wir am Schluß des zweiten Actes bereits erfahren, daß Gallus von dem Kaiser ermordet worden ist. Nun tritt Julian, der in Ephesus der geheimen Weisheit des Maximus lauscht, an dessen Stelle, wird aber nach Gallien verbannt, wo er sich durch Kriegsthaten Ruhm erwirbt. Diesen Ruhm macht der Kaiser ihm streitig, er verlangt, gegen den ausbedungenen Pact mit den Galliern, einen Theil der Legionen für sich; sie empören sich und rufen Julian zum Kaiser aus. Noch zögert er doch sein Schutzgeist, der Mystiker Maximus, bestimmt ihn dazu. Dazu kommt ein schmerzliches Erlebniß, das seinen innern Menschen packt. Er hat an das reine Weib geglaubt; in seiner Gattin Helena sah er das Ideal verkörpert; doch vorm Tode noch, in Folge vergifteter Früchte, die ihr Bruder, der Kaiser, ihr geschickt hat, macht sie die Geständnisse ihrer Buhlschaft mit Gallus. Und an der Leiche des verbuhlten Weibes geschehen Wunder und Zeichen, und es strömt eine Heilkraft von ihr aus, welche das gläubige Volk zwingt, andächtig an ihrem Sarge niederzuknien. Lug und Trug der Galiläerinnen im Leben und im Tode das giebt den Ausschlag, und Julian opfert in der untersten Katakombe den Heidengöttern, und mit Hohn das Vaterunser des Christenchores parodirend, nimmt er für sich das Reich und die Herrlichkeit in Anspruch.

Diese Scenen haben dramatische Kraft und theatralische Wirkung der zweite und dritte Act der Bühneneinrichtung trugen auch gestern den Löwenantheil des Erfolges davon. Hier hatte der Regisseur Adler mehr zu thun als der Dramaturg; denn hier fielen vom Bau des Dramas keine lockern Steine, die er bei Seite schieben mußte. Hier galt es, eine stimmungs- und glanzvolle Versinnlichung, und die düstern Katakomben, oben die offene Kirche in Licht getaucht, mit der Anbetung der Knienden am Sarg der Heiligen, der Cäsar emporschreitend zu der lichten Gruppe in der Kirche, im Ganzen der Trotz des wiedergeborenen Heidenthums das gab ein Bühnenbild von dauerndem Eindruck. Das ist der Schluß des ersten Theiles von Ibsens Drama. Der zweite, Kaiser Julian, entbehrt diese starken dramatischen Accente; er verflüchtigt sich mehr und mehr in eine Scenenfolge, etwa wie die Shakespeareschen Historien. Der Bearbeiter ist oft vor eine Wahl gestellt, da bei vielen Scenen die dramatische Nothwendigkeit gleichmäßig fehlt. So ist der vierte Actschluß, die Scene in den Ruinen des Apollotempels, trotz der stimmungsvollen decorativen Ausstattung des Herrn Freter ohne Mark und Nachdruck und der Abschluß ein sehr matter. Wenn der Kaiser erklärt, er wolle die Welt besitzen, so ist das nach den früheren Ausbrüchen seines Cäsarenwahnsinns nichts Neues. Wäre nicht die schöne Decoration, wir würden dafür stimmen, diese Scene zu streichen und der vorausgehenden eine noch kräftigeren Abschluß zu geben. Im fünften Act ist Krieg und Schlacht, und im fernen Persien schlagen die Völker aufeinander. Das ist auf der Bühne nichts Neues, in der Regel auch nichts Spannendes. Die Hinterlist des verkleideten Persers, eines agent provocateur, erscheint etwas plump, und daß der Kaiser sich so betrügen läßt und seine Schiffe verbrennt, nicht ganz glaubwürdig. Das ist auch Alles nebensächlich; denn die Katastrophe, daß Julian durch den Speer seines früheren, durch Martern irrsinnig gewordenen Freundes Agathon fällt, ist davon ganz unabhängig. Hier wäre vielleicht noch ein herzhafter Einschnitt in die Ibsendichtung geboten. Das ganze Interesse der beiden letzten Acte knüpft sich an die pathologische Entwickelung des Kaisers, der von seiner anfänglichen Toleranz, durch den Fanatismus der Christen gereizt, zu despotischer Christenverfolgung fortgeht und zuletzt in vollständigen Cäsarenwahnsinn verfällt, so daß Maximus mit seinem dritten Reiche kläglich Schiffbruch leidet.

Im Grunde hat das Stück nur eine große Hauptrolle, den Kaiser Julian, und diese umfangreiche Last zu tragen, gehören starke Schultern. Herr Taeger hat ein unerschütterliches Gedächtniß für die 22 Bogen seiner Rolle und außerdem unverwüstliche Darstellungsmittel an den Tag gelegt. In den großen Scenen stand er seinen Mann; die entscheidenden Actschlüsse brachte er zu voller Wirkung und wurde auch aufs Lebhafteste nach denselben und am Schluß hervorgerufen. Hier und dort konnte er noch schärfer, sarkastischer, schneidiger sein. Die Darstellung des Wahnsinns in den letzten Acten konnte noch pathologischer vertieft sein, obschon er den beschleunigten Grundton eines durch seine Ideenjagd abgehetzten Geistes verständnißvoll anschlug. Man darf aber auch nicht vergessen, daß Ibsen kein Shakespeare ist und nicht einen durch menschliche Leidenschaften hervorgerufenen Irrsinn darstellt, sondern einen durch seine Gedankenarbeit aus den Fugen gegangenen Geist. Und diese Darstellung bietet der Schauspielkunst weniger Handhaben.

Noch erwähnen wir heute den düsteren markigen Maximus des Herrn Borcherdt, die in der Sterbescene ergreifende Helena des Fräul. Laue, den kläglichen Tyranen Constantius des Herrn Körner. Wir werden nach der ersten Wiederholung des Stückes noch einmal auf die Darstellung zurückkommen, auch noch einige Bemerkungen über die Bühneneinrichtung daran knüpfen und erwähnen heute nur, daß auch der kühne, geschickte Bearbeiter, Herr Oberregisseur Adler, am Schlusse hervorgerufen wurde.
Rudolf von Gottschall.



(10. desember 1896)

Neues Theater.

Leipzig,  9. December.   Die gestrige erste Wiederholung des Ibsenschen «Mysteriums», sit venia verbo, «Kaiser und Galiläer» hatte den gleichen Erfolg wie am ersten Abend. Der zweite und dritte Act schlugen am meisten ein; die zweite Hälfte des Ibsenschen Dramas, der vierte und fünfte Act der Bearbeitung, standen in der Wirkung dagegen wiederum zurück, obschon bereits einige Kürzungen vorgenommen und besonders die letzte Zeltverwandelung gestrichen worden war. Die ganze Bearbeitung ist ein kühnes Experiment, dessen Wirkung erst bei den Aufführungen ausprobirt werden muß. Es sind noch weitere Kürzungen in Aussicht genommen; die mit einer so schönen Decoration ausgestattete Scene in den Tempeltrümmern von Antiochia, das Gespräch zwischen Julian und Maximus, soll an eine andere Stelle gerückt werden, da es für einen Abschluß zu wenig Wirkung hat.

Wir haben noch über die Aufführung an den beiden Theaterabenden näher zu berichten, da das großangelegte, aber auch an Dunkelheiten reiche Drama in erster Linie eine eingehende Besprechung verlangte. Daß der Julian eine Kraftprobe ist, welche von Herrn Taeger mit seltener Ausdauer gelöst wurde, haben wir bereits erwähnt. Wenn auch Ibsen das Deklamatorische vermeidet, so fehlt es doch der Rolle nicht an pathetischen Schlaglichtern, welche Herr Taeger wirksam hervorhob. Ebenso wenig fehlt es an breiten Redeergüssen, die zwar von dem Bearbeiter wesentlich eingedämmt worden sind, die aber doch eine verständnißvolle Rhetorik, durchsichtige Gliederung, hier und dort auch stimmungsvolle Beleuchtung verlangen. Auch hierin blieb der Darsteller dem Dichter nichts schuldig. In den letzten Acten, wo das Seelenleben des Helden allmählich in wachsende Verwirrung geräth, wo er zwischen enthusiastischem Aufschwung und ingrimmiger Verbitterung schwankt, wo der Größenwahn der Welterlösung und der Welteroberung sich ablösen, da kommt allerdings in die Rolle ein buntschillerndes Farbenspiel und hier läßt sich oft noch glänzender ausmalen, noch schärfer einsetzen, als Herr Taeger gethan. Jedenfalls aber waren bei der zweiten Vorstellung die Farben schon mannigfacher und reicher aufgetragen, als bei der ersten. Herr Taeger erntete an beiden Abenden den lebhaftesten Beifall. Herr Borcherdt als Maximus gab dem Magier nicht nur den düsteren Grundton, der für einen Geisterbeschwörer paßt, er gab auch dem Fanatismus Ausdruck, womit dieser durch seinen Adepten Julian gleichsam die Welt erlösen und ein drittes Reich begründen will. Was er über das dritte Reich an drei verschiedenen Stellen orakelt, läßt sich schwer in Einklang bringen. Ein Magier hat indeß ja das Recht, dunkel zu sein, weniger ein Dichter. Ibsen ist ein Freund des mystischen Dunkels, einer Tiefe, in die bisweilen kein Senkblei des gesunden Menschenverstandes hinabreicht. Bei einem officiellen Mystiker, der als solcher auf dem Zettel steht, läßt man sich dies indeß eher gefallen, als bei den hysterischen norwegischen Frauenzimmern, deren Visionen in den Bereich der psychopathia sexualis gehören. Jedenfalls hatte der Maximus des Herrn Borcherdt das tiefdunkle Colorit, welches einem geheimnißvollen Meister zukommt, der mit seinem kaiserlichen Zögling weltgeschichtliche Experimente macht.

Daß sich das ins Christliche übersetzte Cäsarenthum wenig von dem Heidnischen unterschied, das zeigt uns Ibsen an dem grausamen, heimtückischen Kaiser Constantius, welchen Herr Körner als einen launenhaften Schwächling darstellte und besonders gut in der Scene mit Gallus, den Constantius mit dem Cäsartitel auszeichnet und später ermorden läßt. Auch den epikuräischen Anflug des gekrönten Heuchlers hob Herr Körner am Schluß charakteristisch hervor. Die Fürstin Helena, dieses von Julian anfangs bewunderte Ideal des «reinen Weibes», in Wahrheit eine Buhlerin, fand in Fräulein Laue eine Darstellerin, welche für solche scharfgezeichnete Charaktere die geeigneten Farben auf ihrer Palette besitzt. Das herrschsüchtige und leidenschaftliche Weib ist zwar von Ibsen nur skizzirt; zwei Flüsterworte im ersten Act müssen genügen, um sie uns als die Geliebte des Gallus zu zeigen. Doch ist ihre Krankheits- und Sterbescene eine der wirksamsten des Stückes, und Frl. Laue stellte die stürmischen Ausbrüche des Fieberwahns und die gleichsam in schönen Erinnerungen schwelgenden Geständnisse mit dramatischer Kraft dar.

Der Jovian, der Nachfolger Kaiser Julians auf dem Thron der Cäsaren, der sich zum Christenthum bekennt, wurde von Herrn Otto mit energischer Haltung gespielt; ebenso deckte Herr Stephany die Rolle des Gallus im Vorspiel. Würdevoll war der Bischof Maris des Herrn Thiele; Herr Hänseler als Agathon, des Kaisers Freund und am Schluß sein Mörder, stellte die Erregtheit des Irrsinnigen im letzten Act wirksam dar. Herr Müller (Schriftgelehrter Hekebolius), Herr Krause (Weisheitslehrer Libanius), Herr Normann (Stallmeister Sintula und Ursulus), Herr Neldel (Kriegsoberst Nevita), Herr Feistel (Maurus) spielten die dem Kaiser nahestehenden Friedens- und Kriegsmänner mit geeigneter Repräsentation. Frl. Weigel stellte die kurze pathetische Scene der Publia wirksam dar, weniger gelangen die pathetischen Accente dem Frl. Friese (Hilarion). Herr Searle als aufgeputzter Haarscheerer Eunapius war drollig genug, treu und anhänglich der Eutherius des Herrn Prost. Eine stattliche Kaiserin Eusebia war Frl. Mancke. Herr Greiner sagte uns als Legat Decentius besser zu, als in der Rolle des Persers, die wohl überhaupt am besten gestrichen wird. Wir können das überaus zahlreiche Personal des Zettels nicht einzeln durchnehmen Alle standen am rechten Platze. Die Regie hatte dafür gesorgt und die großen Scenen alle durch Mitwirkung eines guten Ensembles mit zahlreicher Statisterie und stimmungsvoller decorativer Ausstattung zur Geltung gebracht. Wir bemerken noch, daß der Bearbeitung Leopold Adlers die Herrmannsche Uebersetzung des Ibsenschen Dramas zu Grunde liegt, daß aber auch die Reclamsche Universalbibliothek eine gute Uebersetzung von Ernst Brausewetter gebracht hat.
Rudolf von Gottschall.
Publisert 9. apr. 2018 08:58 - Sist endret 9. apr. 2018 08:59