Signaturen «r-t»

Kejser og Galilæer på Leipziger Stadttheater anmeldt av signaturen «r-t» i Leipziger Volkszeitung 7., 8. og 9. desember 1896.

(7. desember 1896)


Ibsens Kaiser und Galiläer ging letzten Sonnabend am hiesigen Stadttheater in Scene und erzielte einen schönen Bühnenerfolg. Die Bearbeitung unseres Oberregisseurs, die Ibsens Zehnakter auf fünf Akte und ein Vorspiel reduziert, ist sehr geschickt. Eine ausführliche Besprechung folgt morgen.

r-t.

 


 

(8. desember 1896)

Kaiser und Galiläer.

I.


Am Sonnabend den 5. Dezember wurde im Neuen Theater zum erstenmal Henrik Ibsens weltgeschichtliches Schauspiel: Kaiser und Galiläer aufgeführt. Kaiser und Galiläer, der allmächtige Beherrscher des römischen Weltreiches im heldenmütigen Verzweiflungskampfe der unsichtbaren und unfaßbaren Macht des Seelenbeherrschers von Nazareth erliegend wo gäbe es einen gewaltigeren Vorwurf zu einer weltgeschichtlichen Tragödie? Als der achtunddreißigjährige Ibsen 1866 in Rom, auf der Trümmerstätte der untergegangenen Hellenen- und Römerwelt, weilte, stieg vor seinem inneren Auge die seltsam rührende Gestalt des jungen Kaisers Julian empor, den die Kirche, getreu dem Bibelworte: Liebet eure Feinde! mit dem Namen Apostata (der Abtrünnige) für alle Zeiten zu brandmarken versucht hat. Was mochte in der Seele dieses Jünglings vorgegangen sein, daß er, der gläubig erzogene Sohn der Kirche, zu deren erbittertstem Feinde wurde? Was war das psychologische Problem, das den nordischen Grübler am meisten reizen mußte? War es bloß der Ekel über das heuchlerische Staatschristentum der herrschsüchtigen Priesterschaft, die die Religion des Nazareners schlau dazu benutzte, den blutschuldbeladenen Herrscher der Welt zu ihrem willenlosen Spielzeug zu machen? War es der Widerwille über die zur Schau getragene Frömmelei aller Streber im Staate, die durch die Religion ein Aemtchen oder Pfründchen zu erhaschen hofften? War es der Arme-Leute-Geruch des Evangeliums, was den römischen Aristokraten anwiderte? Wohl möglich, daß das alles bei Julians Seelenwandlung mitwirkte. Im tiefsten Grunde aber war es doch der unauslöschliche Haß des schönheitsdurstigen, weltfreudigen Hellenen gegen die Lehre der Entsagung, Fleischertötung und Weltverneinung, der in Julian zum letztenmal in hellen Flammen emporloderte.

Wer Ibsens gewaltige Dichtung liest, der spürt es beinahe bei jeder Zeile, daß sie auf dem schönheitstrunkenen Boden Roms entstanden ist. Hier nur, auf dem geweihten Schauplatz der alten Welt, konnte der nordische Dichter dem vielgeschmähten Apostata die heiße Sehnsucht nach dem untergegangenen Reiche der Schönheit und den Haß gegen das schönheitsfeindliche Christentum nachempfinden. Allein bei diesem schönen Mitgefühl mit seinem Helden blieb ein Ibsen nicht stehen. Sein historischer Tiefblick ließ ihn keinen Augenblick verkennen, daß der Untergang der antiken Kultur eine Notwendigkeit, daß der Sieg des Christentums, das neue Reich des Geistes für jene Zeit ein Fortschritt war. Aber auch nichts weiter als ein Fortschritt für jene Zeit. Für uns Menschen von heute ist beides, Hellenentum und Christentum, das Reich des Fleisches, der Schönheit und der Weltfreude, und das Reich des Geistes, der Entsagung und der Weltverneinung, bereits eine tote Vergangenheit. Wir glauben an das Werden des dritten Reiches, dessen Herannahen der Nekramont Maximos dem jungen Kaiser prophezeit, des dritten Reiches, das die hellenische Daseinsfreude mit der Innerlichkeit des Christentums zu einer höheren Menschlichkeit vereint.

Das ist so ungefähr der geschichtsphilosophische Grundgedanke der Ibsenschen Tragödie. Begreift man nun, warum uns dieses Römerdrama so modern anmutet? Wir sehen eine Welt vor unseren Augen untergehen und eine andere siegreich emporsteigen. Wir sehen den allmächtigen Weltherrscher, der eine tote Vergangenheit neu beleben will, von betenden Greisen, Frauen und Kindern überwunden. Er, der alle Gewaltmittel besitzt, mit denen Rom die Welt erobert hat den neuen Geist kann er nicht besiegen. Ueberallhin, bis in seine nächste Nähe, bis in das sicherste Bollwerk der Monarchie hinein, bis in die Armee ist dieser neue Geist gedrungen. Und als der junge Kaiser, der anfangs Toleranz und Religionsfreiheit gepredigt hat, vom Gefühl seiner Ohnmacht getrieben, die Lehre mit Gewalt, mit Feuer und Schwert vertilgen will, da trägt er, ohne es zu wollen, das meiste zum Siege des verhaßten Christentums bei und wird so, wie Maximos ihm prophezeit hat, zum ebenbürtigen Nachfolger der beiden großen unbewußten Wohlthäter der Menschheit, die das Böse wollten und das Gute vollbringen mußten: von Kain und von Judas Ischarioth.

Es ist ganz unmöglich, das große Weltbild, das uns Ibsen in seiner Doppeltragödie von je fünf Akten entrollt, hier im einzelnen nachzuzeichnen. Die Gestaltenfülle erdrückt uns schier, das antike Leben jener Uebergangszeit in all seinen Schattierungen rückt uns förmlich auf den Leib, und zwischen diese farbensatten Bühnenbilder werden nun die tiefsten philosophischen Gedanken gleichsam eine Handvoll nach der anderen nur so spielend hineingeschleudert. Und das in einer so markigen und kraftvollen Sprache, daß ihretwegen allein schon Ibsens Kaiser und Galiläer den hervorragendsten Dichtungen der neueren Zeit zuzuzählen ist. Die dramatische Form des ganzen schwankt noch zwischen dem alten und dem modernen Stil; wir haben hier noch nicht den Ibsen der Gespenster; aber der theatralische Aufbau der einzelnen Scenen ist so meisterhaft, daß uns selbst die etwas aufdringliche, rein äußerliche Symbolik mancher Bühnenbilder nicht im geringsten stört.

r-t.

 


 

(9. desember 1896)

Kaiser und Galiläer.

II.


Was hat nun Herr Adler aus Ibsens Riesentragödie gemacht? Er mußte das weltgeschichtliche Charakterbild, in dem, abgesehen von den oft wortreichen philosophischen Gesprächen, kein Zug ohne Schaden für das Ganze ausgemerzt werden kann, um reichlich zwei Drittel kürzen. Unbarmherzig mußte der Rotstift seines grausamen Amtes walten, sollten Cäsars Abfall und Kaiser Julian an einem einzigen Theaterabend als eine Tragödie in Scene gehen. Dabei durfte aber weder der Grundgedanke der Dichtung noch Julians schillernder Zwittercharakter, in dem Held und Komödiant so wunderlich verschmolzen sind, verwischt und entstellt werden. Herr Adler hat die schwierige Aufgabe mit großem Geschick gelöst. Er wußte durch Streichung des überwuchernden Episodenwerkes den Grundriß der Handlung plastisch herauszuarbeiten und die dramatischen Wendepunkte im Charakter Julians augenfällig herauszuheben. So kam es, daß namentlich der bewegte dritte Akt, in dem sich Julian, die Rolle Marc Antons spielend, von den Soldaten zum Kaiser ausrufen läßt, und der vierte Akt, da der Kaiser, die heidnische Priesterbinde um die Stirn und das Opfermesser in der Hand, in die Kirche stürmt und in den Gesang des Vaterunsers hinein sein «Mein ist das Reich!» donnert, eine gewaltige Wirkung erzielten. Dagegen schlug der erste Akt gar nicht ein, offenbar, weil sich das Publikum in der verwirrenden Fülle von Personen und Ereignissen noch nicht zurechtfinden konnte. Und auch der fünfte Akt, in den Herr Adler den ganzen zweiten Teil des Ibsenschen Originals zusammengestrichen hatte, ließ das Publikum ziemlich kühl, wie mir scheint, nicht ohne Schuld der Regie. Läßt sich Julians Tod, der erschütternde Schlußpunkt der Handlung, wirklich nicht stimmungsvoller inscenieren? Der Speerwurf hinter die Scene und der sterbende Kaiser vor dem herabgelassenen Zwischenvorhang machen einen gar zu unbeholfenen Eindruck.

Doch was wollen diese kleinen Inscenierungsfehler, wie sie bei dieser Neuaufführung mit unterlaufen, gegenüber dem Mangel an jeder inneren Regie besagen? Herr Adler versteht wohl zu meiningern und Massenscenen zu gruppieren; im übrigen aber läßt er seine Leute spielen, wie sie gerade wollen. Oder scheint es nur so? Und ist der Herr Taeger wirklich unverbesserlich? Eine schönere schauspielerische Aufgabe als die Rolle Julians kann sich ein Darsteller gar nicht wünschen. Die vielfachen Wandlungen des edlen Jünglings, sein Glaubenseifer, seine Schönheitstrunkenheit, sein Aberglaube, seine Eitelkeit, seine Begeisterung, seine Schönrednerei, sein Christenhaß, sein Cäsarenwahnsinn und was der kleinen und feinen Züge noch mehr sein mögen, aus denen sich das prächtige Charakterbild zusammensetzt, müssen einen Künstler geradezu herausfordern, sein ganzes Charakterisierungsvermögen aufzubieten, um den Absichten des Dichters gerecht zu werden. Aber Herr Taeger das hat der Sonnabend wieder einmal gezeigt ist eben kein Künstler. Er deklamiert drauf los, schaukelt sich auf seiner schönen Stimme, nimmt die üblichen schönen Stellungen ein und fragt nicht im geringsten, ob zwischen Ibsens Kaiser Julian und Schillers Marquis Posa ein kleiner Unterschied sei. Was dabei herauskommt, kann sich der Leser denken. Ja, Herr Taeger brachte es sogar fertig, den poetisch und theatralisch gleich wirksamen Schluß des vierten Aktes zu verpfuschen. Das «Frei! Frei! Mein ist das Reich!» mit dem Julian die Kirche stürmt, klang matt, und der große Heide, der hier machtvoll triumphieren sollte, schien sich vor der psalmodierenden Klerisei und dem Altar scheu zu ducken.

Und wie die Hauptrolle, so die Nebenrollen. Es wäre verlorene Liebesmühe, sie einzeln aufzuzählen. Unsere Schauspieler machten aus den scharfumrissenen Ibsenschen Charakterköpfen lauter farblose Schablonen. Sogar Herr Ernst Müller, der sonst so scharf zu charakterisieren versteht, wußte mit der so dankbaren Rolle des Schriftgelehrten Hekebolios gar nichts anzufangen. Wäre es da nicht Aufgabe unserer Regie gewesen, ratend und belehrend einzugreifen? Oder meint Herr Adler wie sein Vorgänger, mit dem Aufstellen der Coulissen und der Anordnung der Massenscenen habe sich seine Aufgabe erschöpft? Das wäre jammerschade. Denn auf diese Weise werden wir an unserem Theater niemals eine befriedigende Aufführung eines modernen Dramas zu verzeichnen haben.

r-t.
Publisert 9. apr. 2018 08:54 - Sist endret 16. apr. 2018 11:39