Anonym anmelder i Schwäbischer Merkur

Når vi døde vågner på Hoftheater i Stuttgart anmeldt i Schwäbischer Merkur i Stuttgart 27. januar 1900 (Nr. 43).

K. Hoftheater in Stuttgart.

Erste Aufführung von Ibsens dramatischem Epilog: «Wenn wir Toten erwachen».


Henrik Ibsens dramatischer Epilog «Wenn wir Toten erwachen» hat bei seiner ersten Aufführung gestern (26. ds.) einen großen und tiefen Eindruck erzielt, weit über das hinaus, was man nach Lesung des Buchs zu erwarten geneigt gewesen wäre. Die poetische Kraft der Dichtung brach sich siegreich durch alle Hindernisse Bahn, und trotz der nur schwach entwickelten Handlung und des schweren Gedankeninhalts behauptete das Stück sich wesentlich auch in seiner dramatischen Form. Der Dichter bewährte wieder einmal den ihm eigenen Zauber durch Mittel, die sich schwer definiren lassen, in ihrer Wirkung aber unfehlbar sind, jeden, der ihm, sei es als Freund, als Gegner oder auch nur als Gleichgiltiger entgegentritt, in seinen Bannkreis zu ziehen. Zu den vielen, von uns stets gern und rückhaltlos anerkannten Verdiensten, die sich die Stuttgarter Hofbühne um den großen Norweger erworben, darf sie nunmehr auch das zählen, seinen «dramatischen Epilog» durch eine würdige und das Verständnis der eigenartigen Dichtung nicht unwesentlich fördernde Vorstellung beim deutschen Theater eingeführt zu haben. In dieser Hinsicht kann die Stuttgarter Aufführung nur vorbildlich wirken. Ihr größter Vorzug war ihr einheitlicher Karakter, d. h. der Gesammtton, zu der sämmtliche Leistungen und mit diesen die szenische Einkleidung des Werks zusammengestimmt waren, wofür in erster Linie Herrn Meery als dem Leiter der Vorstellung die höchste Anerkennung gebührt. Ueber die Handlung und den Gedankeninhalt des Werks sind die Leser bereits durch einen orientirenden Vorbericht (vergl. 24. Jan. M.-Bl.) unterrichtet. Nach diesem schildern die szenischen Vorgänge des Stückes die Wiedervereinigung eines lange von einander getrennt gewesenen Menschenpaares, das schweres Unrecht gegen sich abzubüßen hat und die Sühne dafür nach frei gefaßtem Entschlusse in einem gemeinsamen Todesgange sucht, während gleichzeitig das, was die Bühne uns zeigt, uns sinnbildlich das Verhängnisvolle, zu tragischen Konflikten Drängende unserer modernen Gesellschaftsverhältnisse vergegenwärtigen soll. Das Verdienstliche der gestrigen Vorstellung lag darin, daß sie in ihrer einheitlichen Anordnung beides, den tragischen wie den sinnbildlichen Gehalt der Dichtung, zu klarer und deutlicher Anschauung brachte. Die Leistungen der einzelnen Mitwirkenden dürfen als gleichmäßig hieran beteiligt bezeichnet werden, doch ragte vor allen die von Fräulein Lissl, der einstweilen noch der Mannheimer Bühne, hoffentlich bald aber dem hiesigen Hoftheater angehörenden Künstlerin wiedergegebene Gestalt der Irene (auf dem Zettel auf besonderen Wunsch des Dichters noch in letzter Stunde als «reisende Dame» aufgeführt) hervor. Wie bekannt, wird uns diese Gestalt als die einer kürzlich erst aus längerer geistiger Umnachtung Erwachten geschildert, über der wie ein finsterer Schatten noch etwas von jener Krankheit zu schweben scheint, während andererseits das ethische Element mit seinen unerbittlichen Forderungen seinen stärksten Ausdruck in ihr findet. Beide Züge wußte die Darstellerin in vortrefflicher Weise mit einander zu vereinigen. Ihre erste Erscheinung hatte etwas Statuenhaftes an sich, und diesen kalten, unheimlichen Eindruck wahrte sie, bis gegen Ende des 2. Aktes der Ton der Leidenschaft in ihr erwachte und sie sich zum Schlusse fast zu der Größe einer Seherin erhob. Mit entschiedenem Verständnis für die Dichtung spielte Hr. Ellmenreich den Professor Rubek, doch fehlte ihm das von dem Dichter verlangte Distinguirte der Erscheinung; er war etwas zu viel Professor und etwas zu wenig Künstler. Prächtig gab Hr. Richter den Kraft- und Naturmenschen Ulfheim, in dem er vielleicht nur ein klein wenig mehr den faunischen Karakter hätte markiren sollen. Eine frische, kernhafte Realistik entfaltete Frau Doppler in der Rolle der mit «klammernden Organen» an die Welt gebannten Frau Maja. Die kleine, aber wichtige Rolle der Diakonissin wurde von Frl. Rossi mit vornehmer Diskretion gegeben.

Publisert 6. apr. 2018 10:05 - Sist endret 6. apr. 2018 10:05